Caravaggio: Er starb so armselig, wie er lebte

Ausstellungsreigen zum 400. Todestag

Der Lebenslauf von Michelangelo Merisi (1571-1610), genannt Caravaggio, liest sich wie ein spannender Kriminalroman: Ruhm und Glanz begleiteten sein Leben wie Raufhändel und Mord.  Gesindehäuser und Bordelle waren ihm so vertraut wie die noblen Paläste des Hochadels. Während Flucht und ein frühzeitiger Tod sein Ende kennzeichnen.

Selbstporträt als Bacchus. Quelle: Wikipedia

„Er starb so armselig, wie er lebte“, schrieb Giovanni Baglione gehässig über in seiner Künstlerbiographie. Seine unverhohlene Aversion gegen den Malerkollegen waren zweifellos auch von Neid auf dessen größeren Erfolg gefärbt. Denn Caravaggio hat in den knapp fünfzehn Jahren seines Schaffens einen bahnbrechenden Malstil entwickelt, der eine ganze Strömung innerhalb des Barock hervorgebracht hatte und auf die spanische und flämische Malerei nachhaltig wirkte. Er war bereits zu Lebzeiten eine Berühmtheit, um seine Werke rissen sich Kardinäle, Adlige und reiche Bankiers.

Allerdings waren nicht nur seine Feinde, sondern auch seine Gönner von dem streitsüchtigen Charakter und unkonventionellen Lebensstil des Künstlers eher abgestoßen. Und als er einsam und verlassen in einem Siechenhaus in Porto Ercole, unweit von Rom, überraschend an einem Fieber starb, stritten diese zwar um seinen Werknachlass, machten jedoch keine Anstalten, ihrem einstigen Protegé eine angemessene Bestattung zuteil werden zu lassen. Man dachte nicht einmal daran, sein Andenken in einem Nachruf zu huldigen. So wurde Caravaggios letzte Ruhestätte ein Massengrab am Strand vor den Toren des Kirchenstaates.

Während in den folgenden Jahrzehnten sein neuer Naturalismus Nachahmung (Caravaggismus) fand, geriet seine Person bald in Vergessenheit. Erst im 20. Jahrhundert wurde der Maler neu entdeckt, und seitdem wird man nicht müde, immer wieder neue Aspekte seines Schaffens und Lebens zu beleuchten, dem Menschen Caravaggio auf den Grund zu gehen. Es gibt keinen anderen Künstler, der in den letzten Jahren für so zahlreiche Romane und Filme herhalten musste.

Schon zeitgenössische Biographen haben das Bild vom schmuddeligen und zur Gewalt neigenden Genie entstehen lassen. Die moderne Nachwelt erst hat den Außenseiter zum tragischen Helden stilisiert: Es ist die romantisch verklärte Rolle des rebellischen Freidenkers, in der sie ihn am liebsten sieht, des Bohemiens, der aus sozialem Widerstand das untere Milieu frequentierte und dort seine künstlerischen Inspiration für einen schonungslosen Realismus bezog. Man hat ihn mit Pier Paolo Pasolini verglichen, dem Dichter und Filmemacher des italienischen Neorealismus, der sich von den trostlosen und violenten Lebensverhältnissen der Unterschichten angezogen fühlte und seine Darsteller direkt aus den hässlichen römischen Vorstädten rekrutierte. Caravaggio soll sich seine Modelle, Betrunkene und Prostituierte aus den Schenken und von der Straße geholt haben. Als weitere Parallele wird auch gerne der rätselhafte Tod am Strand von Rom zitiert.

In der Tat lesen sich Caravaggios Bilder wie ein Stück Sozialgeschichte der Wende um 1600. Ob nun biblische Gestalten, Heilige oder antike Genrefiguren, alle scheinen sie aus dem Volk, aus der direkten Umgebung des Künstlers gegriffen. Er selbst behauptete von sich, dass er ausschließlich nach dem lebenden Modell gemalt habe. Natürlich gehörten die Malermodelle damals allgemein den untersten Schichten an. Nie zuvor jedoch stellte man diese derart unidealisiert dar. Seine Darsteller sind oft alt und zahnlos, haben schmutzige Füße und zerlumpte Kleider. Sein Judas ähnelt einem trunkenen Satyr, Petrus einem Bettler, sein Amor mal einem Lustknaben, mal einem Straßenkind. Bei den jungen Protagonisten finden wir zuweilen erotische Anspielungen, seine Frauengestalten sind angeblich Porträts von stadtbekannte Kurtisanen. So äußerte ein Rivale über sein Gemälde mit dem „Marientod“ (1601-02, Louvre), Caravaggio habe als Modell für die Madonna eine tote Prostituierte benutzt, die man aus dem Tiber gezogen habe.

Es war der Mangel an jeglicher Idealisierung, die Außerkraftsetzung der in der Renaissance definierten akademischen Normen, die sein Werk damals umstritten machten. Man nannte ihn den „Anti-Michelangelo“. Seine Bilder mit religiösen Themen, die den Großteil seiner Werke ausmachten, wurden nicht selten von ihren kirchlichen Auftraggebern abgelehnt – allerdings um bemerkenswerter Weise kurz darauf von Kardinälen und Bischöfen oder anderen Personen für ihre Privatsammlungen erworben zu werden.

Sicherlich galt das eigentliche Interesse des Malers nicht diesen derben Gestalten des einfacheren Volkes, noch übte seine Kunst etwa Sozialkritik oder ist gar als blasphemisch zu beurteilen. Diese sozialen Randfiguren werden vielmehr zu einem Vehikel, um die Aufmerksamkeit des Betrachters einzufangen und auf einen bestimmten psychologischen Moment hinzuführen, in den eine spirituelle Botschaft verpackt ist. Er verlegte die Bibelszenen in seine eigene Zeit und stellte Heilige stets als empfindsame und emotionale Menschen dar. Dadurch macht er sie verständlicher, spannender und so lebendig, dass selbst der moderne Betrachter sich ihrer Faszination nicht entziehen kann.

Eine Vorstellung von seinem subtilen Gespür für Psychologie liefert uns beispielsweise die „Reuige Magdalena“ auf einem Gemälde in der römischen Galleria Doria Pamphilj (1594/5). Bellori, ein Zeitgenosse, behauptet, Caravaggio hätte für die Darstellung der Sünderin ein Mädchen von der Straße geholt und es zum Haaretrocknen auf einen Stuhl gesetzt.

Reuige Magdalena, Rom

Tatsächlich sind die ungepflegten, in langen Strähnen über die Schulter fallenden Haare des farblosen jungen Mädchens, die dem Betrachter zuerst auffallen und befremdlich anmuten. Gerade dieses Detail aber ist wichtig, weil es den tiefen Prozess der inneren Umkehr der schönen Prostituierten verdeutlicht: Die einst aufwendige Frisur ist aufgelöst, Magdalena hat sich sogar entschlossen, auf ihre Haarpracht zu verzichten. Soeben abgeschnittene Strähnen hängen ihr in die Stirn. Sie kauert auf einem niedrigen Stuhl und wirkt erschöpft in ihrer Trauer und Verzweiflung über das bisherige Leben. Das Gesicht ist vom langen Weinen gerötet, eine Träne rollt ihr noch über die Wange. Ihre Hände liegen kraftlos ergeben in ihrem Schoß, das Haupt ist in Demut seitlich nach vorne gebeugt. Das Licht fällt von oben links auf ihre gebogene Nackenlinie und hebt diese besonders hervor. Der Nacken war der Körperteil der größten Verletzlichkeit, hatte doch Christus sein Kreuz darauf getragen. Magdalena wird damit also als demutsvoll und Christus ergeben dargestellt. Die zerrissene Perlenkette und die Ohrringe auf dem Boden deuten auf die gewaltsame Befreiung vom einstigen Ornat.

Der Maler wählte den Blickwinkel des Betrachters von leicht oben, wodurch die Pose der Selbsterniedrigung der Sünderin bis in den Akt des Herabbeugens auf den Betrachter übertragen wird. Auf diese Weise fühlt er sich als Zuschauer mit integriert in die Szene.

Wie so häufig bei Caravaggio ist der Raum nur leise angedeutet, er ist nebensächlich und sollte nicht von der Protagonistin ablenken. Das Geschehen der Verzweifelung und Reue ist völlig verinnerlicht und zwingt zu einer genauen Betrachtung als Voraussetzung für den eigenen meditativen Nachvollzug. Das gilt auch für die anderen Werke des Malers. Man erfasst die Komplexität seiner Bildszenen nie sofort auf den ersten Blick. Hingegen wird das Auge zu einer Reise und genauen Aufnahme aller Details gezwungen, angeregt durch stilistische und motivische Kontraste.

Die von ihm eingeführte Technik des Chiaroscuro, die ihn so berühmt machte, wird sein wichtigstes Stilmittel. Er platzierte seine Figuren vor dunkle Hintergründe, aus denen sie, wie magisch erleuchtet, auftauchten. Erst durch den schrägen Lichteinfall erhalten diese Plastizität. Caravaggio setzte das Licht wie ein Bühnenregisseur ein, um die Gestalten auf seinen Bildern zum Leben zu erwecken. Er soll nachts bei Fackelschein gemalt haben und wurde außerdem von seiner Vermieterin verklagt, weil er ein Loch in die Decke gebrochen hatte, um den Schräglichteinfall zu haben.

Schlafender Amor, Florenz

Ein schönes Beispiel für die Verbindung dieses Stilmittels mit motivischer Erneuerung des Genrebildes ist sein „Schlafender Amor“ im Palazzo Pitti in Florenz. Wie vom Rampenlicht angestrahlt liegt der kleine Liebesgott schlummernd auf der Erde. Die ihn als Gott auszeichnenden Flügel verschwimmen mit dem dunklen Hintergrund und werden erst beim genaueren Hinschauen wahrgenommen. Im Gegensatz zu den üblichen Cupidodarstellungen handelt es sich nicht um einen wohlgenährten, pausbäckigen, frechen Knaben: Caravaggio wählte ein krankes Straßenkind. Der Bauch wirkt unnatürlich aufgebläht, der verzogene Mund ist im Schlaf geöffnet, seine dunklen Zähne werden sichtbar, sein Gesicht wirkt für ein Kleinkind zu markant. Er strahlt gespenstische Unruhe aus, als ob er in den Tod entschlummere. Die Liebe triumphiert nicht mehr, der wegen seiner Liebespfeile gefürchtete Gott liegt dar wie ein gefallener Engel. Caravaggio malte das Bild gegen Lebensende (1608) während seines Exil bei den Ordensrittern auf Malta, wo er hoffte, von seinem Todesurteil amnestiert zu werden, um wieder nach Rom zu seinen früheren Förderern zurückkehren zu können. Diese heftige Version des Amor wird gewöhnlich mit seinem melancholischer Verfassung und düstere Todesahnung in jener Zeit begründet. Aber man kann in ihr auch die Vergänglichkeit der körperlichen Liebe lesen; der Gott der Erotik und Schönheit ist in Wirklichkeit ein hässliches, krankes, vor sich hinsiechendes Lebewesen.

Gelegenheit die beiden beschriebenen Werke im Original zu bewundern, gibt nun eine Ausstellung in Rom. In den eleganten Scuderie, dem Marstall des Quirinalpalastes, hat man aus verschiedenen europäischen Sammlungen vierundzwanzig ihm sicher zugeschriebene Gemälde zusammengetragen. Sie soll den Auftakt zu einer ganzen Serie von Retrospektiven und Einzelschauen in Italien und anderen europäischen Städten geben. Anlass zu diesem Caravaggio-Fieber liefert der 400. Jahrestag seines Todes.

Rom spielt in dem Caravaggio-Jahr eine herausragende Rolle, konzentrieren sich doch derzeit die meisten seiner Werke hier, das heißt in dem Ort, wo auch die meisten Bilder entstanden sind: Zu den vierundzwanzig Originalen der Ausstellung reihen sich außerdem die in den Kirchen San Luigi dei Francesi, Sant’Agostino und S. Maria del Popolo verbliebenen Tafelbilder.

Die Ausstellung in den Scuderie des Quirinals geht noch bis zum 13. Juni. Sie wandert anschließend weiter nach Florenz. Informationen sind auf Englisch im Netz zu finden!