Ein Caravaggio mit Tücken oder das Elend des Adels

Was macht man mit einem Caravaggio für 311 Millionen Euro, den man nicht weiterverkaufen kann?

In Italien hat die Zwangsversteigerung einer der letzten Barockvillen in angestammten Familienbesitz eine heftige Debatte ausgelöst. Das kleine Casino dell’Aurora, unweit der eleganten via Veneto, ist voller Kunstwerke. Glanzstück: das einzige Deckengemälde von Caravaggio (1571-1610), der Meister des Chiaroscuro und des dramatischen Realismus. Das Gemälde gibt es nur im Paket mit der Villa – für die Rekordsumme von 471 Millionen Euro. Das ist mehr, als der Salvator Mundi von Leonardo da Vinci 2017 bei Christie’s in New York erzielte. Die kostbare Renaissancetafel landete auf der Luxusjacht des saudischen Erbprinzen Bin Salman, wie man später erfuhr, und wurde wie eine Kriegstrophäe in europaferne Gewässer entführt. Sollte nun die römische Adelsvilla bald an einen Ölscheich oder russischer Magnaten fallen, fragen sich viele Italiener? In einer online-Petition fordern 38.000 Landsleute den Kulturminister auf, das Kulturerbe vor dem „fremden Übergriff“ zu retten.

Nicolò Boncompagni Ludovisi mit dritter Frau Rita Jenrette, Tochter eines texanischen Ölbarons und ehemalige Immobilienagentin. Sie digitalisierte das Boncompagni-Archiv und führt heute Besucher durch die Villa
Foto: wikimedia commons

Im schönsten Barockpark Roms wandelten viele Dichter

Noch bis 2018 residierte Fürst Nicolò Boncompagni Ludovisi in dem ehemaligen Wochenendschlösschen seiner illustren Vorfahren, die sich zweier Päpste rühmen können. Es ist – abgesehen von dem in der amerikanischen Botschaft verbauten Palazzo Grande – das einzige Überbleibsel der prächtigen Villa Ludovisi, die sich bis 1886 über eine Fläche von 30 ha im Norden an die Altstadt schmiegte. Hier erblickte Goethe seine „erste Liebe in Rom“, den monumentalen Marmorkopf der Juno – Inbegriff der griechischen Idealität -, von dem er sich einen Abguß in seine Kammer stellte, und Stendhal widmete den französisch gestalteten Gärten mit seinem Statuenschmuck lange Passagen in den Römischen Spaziergängen. Doch mit dem Ende des Kirchenstaats 1870 endeten auch die Privilegien des Adels. Nicht wenige nutzten den Bauboom und verkauften die begehrten Landstücke am damaligen Stadtrand. Der brutale Abriss des Villenparks mit seinen jahrhundertealten Bäumen und Barockbrunnen sowie die Zerstreuung der Kunstsammlung hatte schon damals die Zeitgenossen empört. Es entstand ein Viertel für wohlhabende Bürger, das quartiere Ludovisi. Einen Nachklang der heiteren Atmosphäre, die die Besucher auf der alten Zugangsallee empfing, ist vielleicht noch in der von Magnolien gesäumten Via Veneto zu spüren, die sich an teuren Hotels und Dolce-Vita-Cafés vorbei sanft den Pincio-Hügel hinaufschwingt.

Villa für fast 500 Millionen Euro. Ohne Pool und Tennisplatz Foto: wikimedia commons

Casino dell’Aurora ist ein bescheidener Rest

Man kann nur hoffen, dass zukünftigen Bieter der online-Auktion das Casino dell’Aurora vorher persönlich in Augenschein nehmen. Die kleine, weiße Villa ist zumindest von außen eher unspektakulär, der baumbestandene Garten verwildert. Ursprünglich als Dependance für Kardinal Francesco Del Monte inmitten von Weinreben am Ende des 16. Jahrhunderts erdacht, verschanzt sich der dreistöckige, fast schmucklose Bau mit Belvedere-Turm heute hinter einer hohen Gartenmauer. Namensgeber des Casinos ist das illusionistische Deckenfresko von Guercino, das im Eingangssalon empfängt. Die Göttin der Morgenröte, Aurora, tobt in ihrem Wagen über das steinerne blaue Firmament und kündigt den Tag oder vielmehr ein neues Zeitalter an. Es ist vielleicht das schönste Werk des Bologneser Barockmalers. Auch die Darstellung der Göttin Fama in der ersten Etage feiert die Tugend der ehrgeizigen Familie Ludovisi, die das Casino 1621 erwarb und mit Gregor XV. an die Spitze des Kirchenstaates aufstieg. Daneben gibt es noch weitere Landschaftsfresken von Guercino an den Wänden und Deckenfresken von Domenichino und Paul Bril.

Das einzige Deckengemälde von Caravaggio im Flur: Jupiter, Neptun und Pluto Foto: wikipedia


Einziges Mural von Caravaggio in Alchemistenkammer

Die größte Attraktion der Villa ist jedoch das Werk von Caravaggio, obgleich weder Maße noch Ort an eine Inszenierung des Malergenies denken lassen. Es ist nur 5,18 qm groß und schmückt einen schmalen Saal, der heute als Durchgang dient.

Es ist nicht nur das einzige Deckengemälde des lombardischen Künstlers, der sonst auf Leinwänden malte. Auch ist es in einer ungewöhnlichen Technik hergestellt, möglicherweise weil er der Freskotechnik nicht mächtig war: Caravaggio trug die Ölfarbe direkt auf den Putz auf. Dargestellt ist der Kosmos, verkörpert von Jupiter, Neptun und Pluto, die eine riesige silberne Himmelskugel umgeben. Gewagt ist die perspektivische Verkürzung des hüllenlosen Dreigestirns, das breitbeinig am Bildrand steht und von steil oben herab auf die Besucher blickt. Frech drängt der dralle Unterweltsgott sein Gemächt und seine Pofalte dem Auge des ahnungslosen Eintretenden auf. Mit dieser Provokation habe Caravaggio auf den Vorwurf reagiert, er beherrsche das Spiel der Perspektive nicht und könne nur vom lebenden Modell malen.

Für den dreiköpfigen Kerberos, der zwischen Plutos Beinen herauslukt, stand der schwarze Hund des Künstlers namens Cornacchia Modell, weiß Biograph Giovanni Baglione. Sich selbst hingegen bildet Caravaggio in den Gesichtszügen der Götter ab. Jupiter, Neptun und Pluto stehen für die drei Grundzustände der Materie (fest, flüssig und gasförmig), aus denen der geheimnisvolle „Stein der Weisen“ gemacht sein soll. Sie spielen auf die Nutzung des Raums als Alchimistenkammer an. Hier experimentierte Kardinal Francesco Del Monte, Gesandter der Medici. Der Freigeist förderte Caravaggio und den jungen Galilei, in einer Epoche, in der die Freiheit von Wissenschaft und Kunst zunehmend von der gestrengen Gegenreformation überschattet wurde.

Flop der Auktion wegen zu hohem Preis

Im 19. Jahrhundert, als Caravaggio längst nicht mehr in Mode war, wurde das Fresko in einem Anflug von Prüderie übertüncht. Es wurde erst 1969 wiederentdeckt und 1990 von Restauratoren freigeschält. Besichtigen kann man es nur auf Anfrage und zu einem ansehnlichen Preis. Um die „gewaltigen Unterhaltskosten des Denkmals bestreiten zu können“, öffnet der Besitzer seit gut zehn Jahren seine Pforten gegen die Bezahlung von 300 € (bis max. 14 Personen). Das ist also eher etwas für finanzkräftige Kunstliebhaber als für Studenten.

Kaum hatte Fürst Nicolò 2018 die Augen geschlossen, lieferten sich die Erben eine „Dallas“-würdige Schlammschlacht: die dritte Ehefrau Rita Jenrette, Tochter eines texanischen Ölbarons, zitierte die drei Söhne aus erster Ehe vor Gericht. Das Testament verbürgt der Witwe lebenslanges Wohnrecht. Doch Stiefsohn Bante verlangt 26.000€ Miete monatlich, ein anderer fordert die Auszahlung seines Anteils. Die Zwangsversteigerung soll jetzt die Aufteilung des Erbes ermöglichen. Hier nun die Überraschung. Der vom Gericht bestellte Gutachter, Professor Alessandro Zuccari, Experte für Renaissance- und Barockmalerei des an der römischen Universität Sapienza, setzte allein für das Deckenbild von Caravaggio 311 Millionen Euro an, während auf die anderen Kunstwerke und die 2800-qm-Immobilie nur 160 Millionen entfielen. Das sind 170.000 pro Quadratmeter, eine Weltrekordsumme auf dem Immobilienmarkt.

Caravaggio
„In den Adern meiner Söhne fließt kein echter Boncompagni-Blut“, sagte Fürst Nicolò
einmal gegenüber der Nyt. Der Erbstreit kündigte sich schon zu Lebzeiten des Vaters an. Zwei Söhne hatten Ärger mit der Justiz. Foto: dagospia

Italiener fordern Einschreiten des Staates

Dieser Preis mache es dem klammen Staat unmöglich, von seinem gesetzlich verbürgtem Vor-Ankaufsrecht Gebrauch zu machen, kritisiert der Florentiner Kollege Tomaso Montanari. Für ihn, der gegen das Ausleihen des homo vitruvianus für die Leonardo-Ausstellung im Louvre war, ist es vor allem eine Nationalfrage: italienische Kunst gehöre nach Italien und in Staatshände. Der Staat darf zwar nicht bei Auktionen mitbieten, kann aber innerhalb von 60 Tagen nach dem Zuschlag „Monumente von nationalem Interesse“ zum gezahlten Höchstpreis erwerben. Auf die Preisgestaltung hat er keinen Einfluss. Am 18. Januar – die Nation hielt den Atem an -, kam die Villa unter den Hammer. Aber selbst Bill Gates oder dem Sultan von Bhutan, die angeblich Interesse bekundeten, war sie letztlich nicht 471 Millionen € wert. Die Auktion ging trotz Werbekampagne – angeblich wurden an 20.000 Reiche weltweit emails verschickt – leer aus. Der nächste Auktionstermin mit einer Reduzierung von 20 Prozent ist für April angekündigt. Das Spiel geht solange weiter, bis sich ein Interessent meldet.

Villa als Investition fragwürdig

Der künftige Besitzer hat jede Menge Auflagen. Auf ihn warten dringende Restaurierungsmaßnahmen für 11 Millionen, heißt es im Gutachten. Er darf die Villa weder modernisieren, noch kommerziell nutzen außer als Büros oder für Meetings. Der Antrag von Fürst Nicolò auf die Baugenehmigung einer unterirdischen Parkgarage unter dem Garten wurde damals vom Denkmalamt empört abgelehnt. Mit den Einnahmen gedachte er die Instandhaltung zu finanzieren. Die Fresken und Deckengemälde dürfen natürlich nicht herausgetrennt, noch eine Statue aus dem Ensemble veräußert werden. Der Staat zwingt den Besitzer dazu, sein Anwesen wie ein Museum zu pflegen. Welche Attraktivität hat eine solche Immobilie für einen Investor? Es müsste tatsächlich ein Mäzen vom alten Stil sein. Ein „Scheich“ könnte schnell die Freude daran verlieren.

Italien ist voller Kunstimmobilien zum Verkauf

Der Fall hat viele Fragen aufgeworfen. Wie beziffert man den Wert eines einmaligen Kunstwerks? Der Kunsthistoriker Zuccari orientierte sich am Versicherungswert eines anderen Caravaggio-Gemäldes, das von Judith und Holofernes aus Toulouse, und multiplizierte es mit den Quadratmetern des Deckenbildes. Leinwände sind mobile Kunstwerke, können den Ort wechseln und leicht weiterverkauft werden, sie stellen also eine Investition dar. Die Villa ist ein Klotz am Bein. Dass der hochverschuldete Staat alle Schlösser und herausragende Kunstwerke in Italien aufkauft, die sich noch in Privatbesitz befinden, ist ausgeschlossen, zumindest nicht zu Marktpreisen. Da gäbe es noch andere Anwärter wie zum Beispiel die Villa Albani mit ihrer wertvollen Antikensammlung, die Joachim Winckelmann anlegte, oder der Palazzo Sacchetti, ein Bau des Renaissancearchitekten Giuliano da Sangallo in der Via Giulia. Die Website von Sotheby’s International Realty ist voll mit italienischen Palästen, Castelli, kompletten mittelalterlichen Borghi, die zum Verkauf anstehen. Denkmalschutz, Bürokratie und die Schwierigkeit einer kommerziellen Nutzung sind eine Herausforderung für Italienpassionierte. Insofern ist dem zukünftigen Eigentümer herzlich zu danken, – aus welchem Winkel der Erde er kommen mag.

Anm. Nach fünf leergegangenen Zwangsversteigerungen haben sich 2023 die Erben geeinigt, den Verkauf in die Hände einer privaten Agentur zu geben. Im April wurde eine Zwangsräumung der Villa angeordnet.