Handwerk von Pandemie bedroht

Alte Werkstätten und kleinen Kunstgalerien machen den besonderen Charme der römischen Altstadt aus. Die meisten haben nach dem Lockdown nicht wieder geöffnet. Was passiert mit der Altstadt, wenn diese Tradition verschwindet?

Unzählige Straßenschilder in der Altstadt Roms sind nach Handwerksberufen benannt. Die meisten gibt es längst nicht mehr wie die der Koffermacher. Andere gibt es noch, doch sind sie vom Aussterben bedroht. Die Schilder der Schuster, Hutmacher und Rahmenbauer bezeugen eine uralte Gewerbetradition, die bis in die späten 1980er Jahre charakteristisch für alle italienischen Altstadtkerne war. Schließlich bewahrte das Festhalten an diesen Traditionen, das heisst die Vererbung des Handwerksberufs auf die nachkommende Generation, die Städte vor dem leidigen Schicksal der nördlichen Industriestaaten: nach Ladenschluss tote, monotone Innenstädte, die alle dieselben Ladenketten und Produkte feilbieten.

Schon vor der Corona-Pandemie ging es dem italienischen Kunsthandwerk nicht eben prächtig. Viele der Tischler, Schneider, Goldschmiede und Stuckateure balancierten am Rande der Existenz und konnten sich überhaupt nur halten, wenn sie alte Mietverträge hatten oder gar Besitzer der Ladenräume waren. Das sichere, einträgliche Geschäft mit dem Massentourismus in Form von B&Bs, Steh-Pizzerien, Eisdielen und Souvenirläden haben die Immobilienpreise in den letzten 20 Jahren in die Höhe getrieben. Die Mieten auf dem Marsfeld, der Altstadt von Rom, liegen zwischen 25 und 49 € pro Quadratmeter. Für eine 15 qm große Ladenwerkstatt hinter dem Campo de‘ Fiori zahlt man schnell 5000€ kalt monatlich. Nischenprodukte mit kleinem Kundenkreis können da nicht mithalten.

Vergolderin Cristina Fontana sieht ihre Existenz – und ein altes Kunstgewerbe bedroht. Aber sie gibt nicht auf. Gemeinsam mit anderen römischen Handwerkern schuf sie eine Skulptur, die den „Ärzten und Pflegekräften“ in dem von der Pandemie hart getroffenen Bergamo gestiftet wurde; Foto: corriere.it

Das Virus war für die schwächelnden Betriebe der endgütige Todesstoß. Während sich die Wohnquartiere außerhalb des Zentrums recht schnell wieder mit Leben füllten, verharrte die Altstadt noch Wochen nach Aufhebung des Lockdowns in einem Dornröschenschlaf. Dabei war die Innenstadt vor der Pandemie stets Inbegriff der Betriebsamkeit, und das fast rund um die Uhr. Die römischen Gassen mit ihrer bunten Vielfalt an Läden, Lokalen, Galerien und Werkstätten war Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen. Ihr besonderer Flair bestand in den abwechslungsreichen, individuellen Auslagen, dem Kontrast an modernen Design in uralten Werkstätten mit Holzdecken aus dem 16. Jh. Wo konnte man sonst eine außergewöhnliche Lampe finden oder Vergoldern bei ihrer Arbeit zuschauen?

„Das centro storico hat sich in ein Disneyland verwandelt, zu viele touristische Gewerbe. Und jetzt, wo die Touristen fehlen, wird man sich einer falschen Politik bewusst“, klagt Luigi, Erbe der historischen Bar Mariani in der via dei Pettinari, seit 1878 Familienbetrieb. „Noch Anfang März trabten Horden durch unsere Gasse in Richtung Trastevere, machten Stop für eine Flasche Wasser oder einen Caffè.“ Nun ist es still geworden. Der bekannte Geigenbauer Michel Eggimann hinter dem Campo de‘ Fiori hat seine feste Klientel über das Internet, aber der benachbarte Goldschmied und der Schreiner nicht. Selbst die Stamperia Bulla, die seit 200 Jahren Lithografien und Drucke herstellt, ist auf Passanten angewiesen.

Von dem Geschäft mit den Anwohnern allein kann fast kaum einer leben. Anwohner: die werden ohnehin von Jahr zu Jahr weniger. Während in den 1958 noch 370.000 von 1,6 Millionen Einwohnern innerhalb der antiken Stadtmauern ihren Wohnsitz hatten, sind es heute verschwindende 122.000 angesichts einer auf 3 Millionen angewachsenen Bürgerschaft.

Im ersten Trimester 2020, also noch zu Beginn der Pandemie, haben im Großraum Rom 420 Betriebe aufgegeben. Die Zahl an innerstädtischen Betrieben, die pleite sind, liegt noch nicht vor. Aber die Handelskammer wies darauf hin, dass mindestens im Zentrum ein Drittel der Geschäfte, der Handwerks- Gastronomiebetriebe entschieden haben, „vorläufig nicht zu öffnen“. Ihre Klientel sei weggebrochen. Sie warten auf den Impfstoff – und auf ein Wunder.

Die Region Latium hat zwar zinslose Kredite für Unternehmer von bis zu 25.000 € bereitgestellt. Da der Staat bzw. die Region nicht liquid sind, forderten sie die Banken auf, Kredite mit mit staatlicher Bürgschaft zu bewilligen. Aber viele Banken sträubten sich, Kleinunternehmern Kredite zu geben. Ein-oder Zweimann-Betriebe mit geringem Umsatz gingen praktisch leer aus. Ob sie bis nächstes Jahr durchhalten werden, wenn der Impfstoff angeblich bereitsteht, ist fraglich.

Viele befürchten, dass Großstädte wie Rom und Mailand noch länger vom Tourismus gemieden werden. Es sind ja nicht nur die ausländischen Urlauber, die nicht kommen. Auch die Einheimischen treibt es nicht sonderlich ins Zentrum. Solange wie das unbeschwerte Feiern auf der Piazza – die beliebte movida – nicht erlaubt ist, geht man in die Pizzeria im eigenen Viertel und kauft im Internet ein.

„Die Pandemie ist eine Chance das Zentrum vom Billig- und Massengewerbe zu befreien“, tröstet sich Gastronom Massimo und blickt auf die heruntergelassenen Rollladen der Ramsch- und Souvenirläden, die den Weg zum Trevi-Brunnen säumen. Aber Kochschürzen mit Romulus und Remus als Konterfei und Kühlschrankmagneten mit dem Kolosseum werden sicherlich als erste Produkte wieder auftauchen, wenn sich die Wirtschaft erholt hat. Für handgefertigte prodotti d’eccellenza, für die Italien berühmt ist, wird man das nicht mit Gewissheit sagen können.