Alte Kriegswunden schließen sich

Bundespräsident Gauck zum ersten Mal am Ort der Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten 

Eine alte, offene Wunde in der deutsch-italienischen Freundschaft schien sich gestern zum ersten Mal nach 69 langen Jahren zu schließen. Der Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Sankt Anna di Stazzema, einer kleinen toskanische Gemeinde in der Provinz von Lucca, wurde in Italien als Zeichen der Versöhnung hoch gewürdigt. Es ist der erste offizielle Besuch eines deutschen Staatpräsidenten an dem Ort, an dem SS-Truppen am 12. August 1944 ein fürchterliches Massaker unter der Bevölkerung anrichteten: 560 Menschen, überwiegend Frauen, Kinder und alte Männer wurden als Vergeltungsschlag gegen die lokalen Partisanen hingerichtet. Das jüngste Opfer zählte gerade mal 20 Monate. Sie wurden in Ställen, auf Kirchplätzen und Friedhöfen zusammengetrieben und mit Handgranaten und Feuerwaffen getötet und anschließend verbrannt.

Dieses Kriegsverbrechen an Zivilisten wurden viele Jahrzehnte von beiden Staaten totgeschwiegen, um die Beziehungen während den Annäherungen zurzeit der Nato nicht zu belasten. Erst 2004 eröffnete das Militärgericht von La Spezia einen Prozess gegen mehrere in Deutschland noch lebende Täter. Zehn der früheren SS-Angehörigen wurden in Abwesenheit zu lebenslanger Haft sowie Entschädigungszahlungen in Höhe von etwa 100 Millionen Euro verurteilt. Die deutsche Staatsanwaltschaft hat diese Verurteilung nie anerkannt. Nach eigenen, parallel laufenden Ermittlungen sei den siebzehn Beschuldigten, wovon heute nur acht überhaupt noch am Leben sind, eine strafbare Beteiligung an dem Massaker in Sankt Anna di Stazzema nicht nachzuweisen. Das Ermittlungsverfahren wurden daher von der Staatsanwaltschaft Stuttgart am 1. Oktober 2012 eingestellt, was für große Empörung in Italien sorgte. Staatspräsident Giorgio Napolitano drückte damals sein “tiefes Bedauern über diese schockierende Urteilsbegründung“ aus.

Gauck und Napolitano auf der Gedenkfeier in S. Anna di Stazzema am 24. März 2013
Gauck und Napolitano auf der Gedenkfeier in S. Anna di Stazzema am 24. März 2013

 

Vor diesem Hintergrund wurde nun die gestrige Ehrbezeugung von Bundespräsident Gauck am Gedenkort des Massakers sehr positiv aufgenommen. Im strömenden Regen umarmten sich die beiden Staatspräsidenten und enthüllten gemeinsam einen zweisprachigen Gedenkstein für die Opfer. Gauck stimmt in der Zuweisung einer moralischen Schuld Deutschland für die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen mit dem italienischen Kollegen Napolitano überein: „Es verletzt das Empfinden für Gerechtigkeit, wenn Täter nicht überführt und bestraft werden könnten, weil die Instrumente des Rechtsstaates dies nicht zulassen.“ Schuld existiere nicht nur als strafrechtliche Schuld! Bürgermeister Michele Sillicani sprach von einem “historischen Moment der Versöhnung”.