Zehn Italiener für einen Deutschen

Fosse Ardeatine: Benedikt XVI. besucht erstmals die Gedenkstätte des SS-Massakers in Rom

Gestern jährte sich das Massaker der deutschen SS in Rom zum 67. Mal. Mehr als dreihundert römische Familien haben einen Verwandten zu beklagen. Die Fosse Ardeatine bleiben eine offenen Wunde in der Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner. Es war nicht das einzige Blutbad der Deutschen in ihrer Besatzungszeit in Italien, aber das einzige, das in einer Hauptstadt stattgefunden hat. Dazu in der Stadt des Papstes.

23. März 1944. Die deutschen Truppen waren nach der Absetzung des Duce in Italien einmarschiert und übten in Rom ein Schreckensregiment aus. Das vom italienischen Widerstand verübte Attentat auf eine SS-Polizeigrenadierdivision in der via Rasella, bei dem deutsche 33 Soldaten starben, markiert den Höhepunkt der Spannungen. Hitler verlangte in einem ersten Wutausbruch die vollständige Zerstörung der Hauptstadt, die Deportation aller Bewohner. Dann schlug der Stadtkommandant Kurt Mälzer vor, stattdessen ein altes Kriegsgesetz anzuwenden: für jeden getöteten Soldaten sollten zehn Zivilisten mit dem Leben sühnen. Die Liste der zu Erschießenden wurde in wenigen Stunden zusammengestellt. Dem sauberen Kalkül des Schreibtischtäters unterlief jedoch ein Fehler. Statt 330 Namen landeten versehentlich 335 auf der Liste für die Erschießung.

Rom 1944, SS treiben Gefangene zusammen

Beauftragt mit der Durchführung des Vergeltungsschlags wurden der SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler und sein Gehilfe Erich Priebke. Die Opfer rekrutierte man vor allem aus dem Stadtgefängnis Regina Coeli und aus dem berüchtigten SS-Polizeirevier der via Tasso. Einige andere wurden einfach willkürlich von der Straße auf Lastwägen verladen. Es waren mehrheitlich politische Gefangene und etwa 75 Juden, die die SS bei ihren Streifzügen festgenommen hatten. Die jüngste Geisel war gerade mal 15 Jahre alt, die älteste zählte 73 Jahre. Um einen Tumult der unterdrückten Bevölkerung zu vermeiden, wurde die Strafaktion an den südlichen Stadtrand verlegt. Als Hinrichtungsort wählte man den ehemaligen Steinbruch an der antiken Ausfallstraße via Ardeatina. Es genügte eine Nachmittag für die Erschießung von 335 Personen. Der besagte 24. März 1944. Die gefesselte Geiseln musste sich in Fünfergruppen hinknien und warteten auf den Genickschuss. Die Leichenberge türmte man in den Stollen auf, anschließend versuchte man mit Dynamitexplosionen die Opfer unkenntlich zu machen, die Spuren des Massakers zu vertuschen. Nach nur vier Stunden war der Befehl ordnungsgemäß ausgeführt, um 19 Uhr fuhren die SS wieder zurück in die Kommando-Zentrale im Stadtzentrum.

Nach Kriegsende wurden die Leichname soweit möglich identifiziert und in Gräber umgebettet. An dem heutigen Ort entstand eine Art Mausoleum, das erste von der Stadtgemeinde Rom in Auftrag gegebenen Kriegsdenkmal. Für manche Familien ist das Rätsel um verschwundene Mitglieder noch nicht gelöst. Aber moderne Genuntersuchungen können in spezifischen Fällen auch nach fast 70 Jahren noch Identitäten enthüllen. Von den bisherigen zwölf namenlosen Opfern sind jüngst zwei weitere identifiziert worden. Marco Moscati und Salvatore La Rosa, beide Mitte zwanzig bei ihrer Ermordung.

Rom, Gräber der erschossenen Geiseln der Fosse Ardeatine

Der Verband der Hinterbliebenen von Kriegsopfern (ANFIM) bemüht sich mit Führungen in dem Gelände des Steinbruchs die Erinnerung an das Massaker lebendig zu halten. Der Besuch des Ortes gehört zum Pflichtprogramm der römischen Schulkinder. Alle Römer kennen diese Stätte.

Besonderes Aufsehen in der Bevölkerung erregte der Prozess von Erich Priebke, der 1995 von Argentinien nach Italien ausgeliefert wurde. Nachdem jedoch zu aller Überraschung das italienische Militärgericht die Kriegsverbrechen Priebkes als verjährt einstufte und er frei gesprochen wurde, kam es nicht nur im Gerichtssaal zu heftigen Tumulten. Vor dem Tribunal hatten sich eine empörte Menschenmenge versammelt und gedroht den ehemaligen SS-Mann zu lynchen. Priebke konnte nur unter Polizeieskorte das Gebäude verlassen. Unter dem zunehmenden Druck der Öffentlichkeit, der Freispruch löste weltweit Proteste aus, intervenierte schließlich die italienische Regierung. Ein Kassationsgericht hob den Freispruch auf. Priebke, nunmehr fünfundachtzigjährig, wurde zusammen mit seinem SS-Kollegen Karl Hass 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt. 2007 wurde die Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt.

Wie jedes Jahr legten auch am gestrigen Jahrestag der italienische Staatspräsident und Bürgermeister Kränze am Mausoleum nieder.

Doch dieses Jahr erwartet die Gedenkstätte einen besonderen Gast. Benedikt XVI. hat entschieden, den Fosse Ardeatine einen Besuch abzustatten, allerdings nicht an dem offiziellen Tag. Den privaten und persönlichen Charakter seines Besuchs verrät der gewählte Termin außerhalb des Staatszeremoniells, nämlich am kommenden Sonntag, den 27. März. Es ist nicht das erste Mal, das ein Pontifex der Opfer gedenkt. Paul VI. pilgerte 1965 als erster zu der Stätte und 1982 folgte sein Nachfolger dieser Geste. Die Tatsache, dass das Massaker von Landsleuten verschuldet wurde, mag für Benedikt XVI. den Besuch auch zu einem besonders schmerzlichen Moment machen.

Sein innigstes Ansinnen, Details der damaligen Ereignisse aus erster Hand zu erfahren, zeigt sich in der ausgewählten Begleitung am Sonntag. Kardinal Andrea Cordero Lanza di Montezemolo wurde vom Heiligen Vater ausdrücklich gebeten, ihn als Zeuge zu begleiten. Der adlige Kurienkardinal hatte als Achtzehnjähriger seinen Vater in den Fosse Ardeatine verloren. Giuseppe Montezemolo, so sein Name, war ein italienischer Offizier und Widerstandskämpfer. Er war bereits im Januar 1944 von der SS in Rom verhaftet worden und wurde wochenlang in dem Polizeirevier in der Via Rasella verhört und dabei grausam gefoltert. Er gab jedoch keine Informationen über den Widerstand preis. Seine Pein endete dann mit einer Art Gnadenschuss in dem Steinbruch.

„Wunden verheilen, aber nicht amputierte Körperglieder“, sagte der Kardinal letzte Woche in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung La Stampa. „Ich erinnere mich gut an die schrecklichen Wochen, das Leid meiner Mutter und Geschwister. Jene Schmerzen bleiben für immer. Aber nicht im Sinne von Rache: Menschsein bedeutet auch vergeben können.“