Italien: Die Geschäfte der Rüstungsindustrie und die Angst vor libyschen Attentaten

Dritter Tag der UN-Militäroperation Odyssey Dawn in Libyen. Seit Samstagabend hagelt es Bomben in dem nordafrikanischen Staat. Amerikanische, britische, französische und italienische Streitkräfte beschießen aus der Luft und vom Meer Truppen und Militärbasen des Diktators. Die libysche Flugabwehr sei zum größten Teil außer Kraft gesetzt, die erste Phase der Operation erfolgreich abgeschlossen, meldet US-Admiral Mike Millen heute. Gestern Nacht wurde auch ein Gebäude der Residenz von Muammar al-Gaddafi in Tripolis zerstört, indem sich das Militärkontrollzentrum befunden haben soll. Ein Sohn des Raìs sei ums Leben gekommen.

Trotz Erfolgsmeldungen der UN-Truppen ist der italienische Bevölkerung mulmig zumute. Nicht nur, dass ein blutiger Krieg unmittelbar vor ihrer Haustür ausgetragen wird – von der umkämpften Hauptstadt Tripolis bis Sizilien sind es weniger als 250 Seemeilen (450 km), d.h. nur wenige Flugminuten. Es ist vor allem die Tatsache, dass die Kampfflugzeuge der Staatengemeinschaft von italienischem Gebiet aus ihre Einsätze in Libyen fliegen. Das gibt den Italienern das Gefühl, unfreiwillig in das Kriegsgeschehen miteinbezogen zu werden. Die Alliierten wählten sieben Basen der italienischen Luftwaffe als Operationsbasis aus, die von der NATO-Kommandozentrale in Neapel koordiniert werden. Wichtigste Rampen sind Sigonella an der Ostküste und Trapani an der Südwestküste von Sizilien.

Die wortreichen Drohungen von Muammar al-Gaddafi, blutige Rache zu üben, hat die alliierten Regierungen nicht weiter eingeschüchtert. Man vertraut auf die Effizienz der Militäraktion. Italien sieht sich jedoch nicht nur wegen seiner geographischen Nähe, sondern auch wegen der abrupten Kündigung einer alten Freundschaft in besonderen Maß einem möglichen Vergeltungsschlag des unberechenbaren arabischen Machthabers ausgesetzt.

Schließlich hatten beide Staaten erst im August 2008 in Bengasi ihre freundschaftlichen Beziehungen in einem „Kooperationspakt“ erneuert, der von zahlreichen Wirtschaftsverträgen begleitet wurde. Italien ist heute mit 22 % Hauptabnehmer der reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen seiner ehemaligen Kolonie. Das italienische Erdölkonsortium ENI, die Raumfahrt Holding Finmeccanica und das größte italienische Bauunternehmen Impregilo haben in Libyen Aufträge in Milliardenhöhe an Land gezogen. Im Gegenzug hat Gaddafi große Marktanteilen in italienischen Unternehmen wie Fiat, Unicredit und besagter Holding Finmeccanica erworben. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges liegt die libysche Wirtschaft brach, und das Vermögen des Staatschefs auf den Konten im EU-Ausland ist vorerst eingefroren. Die italienischen Investoren hoffen natürlich, die jetzigen Verluste beim Wiederaufbau des Landes nach dem Sturz des Diktators zu kompensieren.

Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte gleich zu Beginn des Krieges versucht, die Ängste der Bevölkerung vor einem libyschen Vergeltungsschlag im eigenen Lande zu zerstreuen. Die libyschen Raketen hätten nur eine Reichweite von maximal 300 km und könnten daher die sizilianische Küste nicht erreichen. Gleichzeitig hat die Regierung jedoch eingeräumt, dass es keine genaue Aufstellung der über Jahre angehäuften Waffenkontingente des Raìs gäbe. Italien ist seit der Aufhebung des Embargos mit einem Drittel der von der EU zugelassenen Waffenlieferungen nicht nur Rüstungshauptlieferant von Libyen. Es wurden auch vor kurzem illegale Waffenlieferungen aus Italien über Malta als Drittland an Libyen aufgedeckt (Unimondo). Es handelt sich um leichte Waffen des Herstellers Beretta, die möglicherweise im jetzigen Bürgerkrieg im Einsatz sind. Keine Angaben liegen zu der Existenz von chemischen Kampfstoffen in Libyen vor. Laut italienischem Innenministerium versuchen die Geheimdienste der Alliierten Informationen zu geheimen Waffendepots von den abtrünnigen libyschen Botschaftern im Ausland zu gewinnen. Jedenfalls werden derzeit die Sicherheitsmassnahmen in Italien verschärft. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Überwachung der Grenzen, aber auch von militärischen Einrichtungen und Staatsgebäuden.

Gestern gab das italienische Außenministerium bekannt, dass ein italienischer Schleppkahn in Tripolis von den Behörden festgehalten wurde. Über den Verbleib der elfköpfigen Besatzung, acht Italiener, zwei Inder und ein Ukrainer sei nichts bekannt. Man befürchtet eine erste Geiselnahme des libyschen Machthabers.

Zwar hat die Kurie die UN-Intervention prinzipiell begrüßt, die den Aggressionen des Diktators Einhalt gebieten sollen. Doch äußerte Papst Benedikt XVI. bei dem gestrigen Angelus seine große Sorge um die Menschen, die den Bombardierungen ausgesetzt sind. Auch das Internationale Rote Kreuz warnte vor einem Blutbad in der Bevölkerung. Vor allem die Kämpfe in dicht besiedelten Städten wie Bengasi könne die Zahl der zivilen Opfer stark erhöhen, sagte die Sprecherin Carla Haddad Mardini am Sonntag. Ein besonderes Problem stellen die vom Gaddafi-Regime vor strategischen Zielen postierten menschlichen Schutzschilder dar.

Neben der von der Kirche und Humanitären Organisationen geäußerten Sorge gibt es auch zahllose Exponenten der katholischen Welt, die sich strikt gegen die UN-Resolution ausgesprochen haben. So zum Beispiel hat die internationale katholische Friedensbewegung Pax Christi keinerlei Vertrauen in die angeblich gezielte Militäraktion. Diese Skepsis teilt der irakische Erzbischof Louis Sako an, der die aktuellen Umwälzungen im nordafrikanischen Raum mit Beunruhigung verfolgt. Er sagte auf dem Kongress des Hilfswerks Kirche in Not, dass im Irak trotz „westlicher Demokratisierungsversuche“ und Befriedung der Exodus von Christen weiter anhielte. Letztlich hätten die vom Westen erzwungenen Umwälzungen nichts Erfreuliches gebracht. Die Islamisierung sei auf dem Vormarsch und das wäre das Ende jeglicher Freiheit.

Libysche Medien sprechen bisher von mindestens 64 getöteten Zivilisten infolge der westlichen Luftattacken. Diese Angaben wurden von Seiten der französischen und britischen Militärführung dementiert, weil zurzeit „nicht überprüfbar“. Wie bei allen akuten Kriegsschauplätzen ist die restliche Welt auf die Informationen angewiesen, die direkt vom Militär stammen. Die wahren Opferzahlen werden allgemein erst nach dem Krieg bekannt.