Dunkle Wolken über Lampedusa

Kirche besorgt über Situation der Flüchtlinge in Italien

Die Kirche zeigt sich besorgt über die Flüchtlingswelle, die seit Anfang des Monats Lampedusa überflutet. Als südeuropäischer Vorposten und nur 110 km von der tunesischen Küste entfernt, ist diese winzige Insel seit jeher erste Anlaufstation für Bootsflüchtlinge aus Nordafrika. In den letzten zwei Wochen sind über 5000 Menschen dort gelandet, fast alles Männer, darunter auch einige hundert Minderjährige. Die Immigranten stammen mehrheitlich aus Tunesien, dessen Küstengrenzen durch die Wirren nach dem Regierungssturz undicht geworden sind.

Nachdem die von der gefährlichen Überfahrt auf überfüllten Fischerbooten geprüften Flüchtlinge die ersten Nächte unter freiem Himmel auf den Straßen zugebracht hatten, ließ Innenminister Maroni letzten Sonntag das einzige Auffanglager von Lampedusa öffnen. Die italienische Regierung hat daraufhin den „humanitären Notstand“ ausgerufen und die EU um Unterstützung gebeten. Frontex, die europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, ist dabei, Gelder bereit zu stellen und ein Team von Grenzbeamten nach Süditalien zu senden. Diese sollen an der Seite der italienischen Behörden als Küstenpatrouille aktiv werden und sanitäre wie bürokratische Assistenz in den Auffanglagern leisten. Als erste Maßnahme steht die Verteilung der Flüchtlinge auf verschiedene andere Auffanglager auf Sizilien und dem Festland an, da die Infrastrukturen von Lampedusa nur Kapazitäten für 850 Menschen besitzen.

Lampedusa, Februar 2011, Boot mit Flüchtlingen aus Tunesien

Vorgestern berichtete der Osservatore Romano ausführlich über die prekäre Lage in dem Lager auf Lampedusa, das durch die mehr als zweifache Überbelegung zu kollabieren droht. Die sich gegenwärtig dort noch befindlichen rund 1800 Flüchtlinge hausten auf Matratzen in Korridoren und Bädern des Lagers. Die hygienischen Zustände seien desolat. Laut der von der italienischen Bischofskonferenz getragene Tageszeitung Avvenire sollen einige verzweifelte Tunesier mit einem Hungerstreik gedroht haben, wenn sie nicht in Kürze in andere Lager gebracht würden. Sie befürchteten, dass sie ohne amtliche Prüfung ihres Asylantrags als „Wirtschaftsflüchtlinge“ direkt wieder in die Heimat abgeschoben werden könnten.

In der Tat ist Tunesien bisher nicht als Kriegsgebiet oder totalitärer Staat eingestuft und für die Flüchtlinge wird es schwierig sein, den Status politischen Asyls zuerkannt zu bekommen. Das ist wahrscheinlich das Problem. Denn nach der Schilderung von interviewten Flüchtlingen sollen die Zustände in den tunesischen Städten durchaus bürgerkriegsähnlich sein. Es gäbe täglich Verletzte bei Demonstrationen, Überfälle und Plünderungen. Die öffentliche Ordnung und Sicherheit seien nicht garantiert.

Eines ist sicher: Der Flüchtlingsstrom wird in den nächsten Monaten zunehmen. Momentan ist er wegen der schlechten Wetterverhältnisse über dem südlichen Mittelmeerraum ins Stocken geraten, aber wir gehen der warmen Jahreszeit entgegen. Die politischen Unruhen auch in Algerien und Libyen könnten zu einem weiteren großen Exodus auf den exponierten italienischen Stiefel führen. Innenminister Maroni sprach von möglichen 80.000 Immigranten, wenn der bisherige Rhythmus in diesem Jahr anhielte. Italien sieht sich von den Nachbarstaaten alleingelassen mit dem Problem, denn dem italienischen Staat obliegen natürlich alle weitere Schritte, die der ersten Versorgung und Aufnahme der Asylanträger folgen.

Deutschland hat die Aufnahme von tunesischen Immigranten abgelehnt mit der Begründung, es hätte in den 90ziger Jahren aus Osteuropa und Russland große Zuwanderströme (Aussiedler) bewältigen müssen und damit ihren „Tribut gezahlt“. Allein im letzten Jahr, so Innenminister De Maiziere, hätte die Bundesrepublik 40.000 politische Asylsuchende aufgenommen, während Italien nicht einmal die Ziffer von 7000 streifte. Mit den 4.5 Mio registrierten Ausländern in Italien (Istat 2011), also 7,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, wäre das Land weitaus weniger belastet als die BRD mit ihren knapp 12 Prozent.

Die Daten sind nicht von der Hand zuweisen. Aber der italienische Staat und die Gesellschaft tun sich sicherlich schwerer mit der Integration von Ausländern als die Deutschen. Das mag daran liegen, dass Italien als junges Einwanderungsland erst seit zwei Jahrzehnten mit der Problematik konfrontiert ist. Zum anderen erschwert der Mangel an einer ordentlichen Sozialgesetzgebung zum Schutze von Arbeitslosen und Armen die Voraussetzung für eine Aufnahme von Fremden in der Gesellschaft. Die Asylanten sind also völlig auf sich selbst gestellt und laufen Gefahr, für Schwarzarbeit ausgebeutet zu werden. Der Aufstand der farbigen Erntearbeiter in Kalabrien vor einem Jahr hat die extreme Situation vieler Ausländer in Italien gezeigt.

Es sind vor allem kirchliche Organisationen wie die Caritas und die Gemeinschaft von Sant’Egidio, die mit ihren landesweiten Einrichtungen die schlimmste Not der Immigranten in Italien zu lindern versuchen.

Migranti–press, die Wochenausgabe der italienischen Bischofskonferenz zur Immigration, beklagt die mangelnde Bereitschaft der Politiker, ernsthafte Anstrengungen zu einer menschenwürdigen Integrationspolitik zu unternehmen. Im Vordergrund stünden nicht die Einbindung von Fremden in die Gesellschaft, sondern sogenannte Sicherheitsfragen. Die Kirche sehe die wachsende Xenophobie in der Bevölkerung mit Besorgnis. Sie fordert alle auf, christliche Barmherzigkeit walten zu lassen. Diese sei durchaus mit einer vernünftigen Ausländerpolitik zu Schutze aller Bürger im Lande möglich. „Man kann auch Gerechtigkeit und Legalität mit Solidarität und Aufnahmebereitschaft verbinden, ohne neue Mauern zwischen Armen und Reichen zu errichten,“ schreibt sie.

Schon Johannes Paul II. sagte einst: „Die Erfahrung lehrt uns, dass die Länder, die den Mut haben, sich gegenüber der Migration zu öffnen, mit wachsendem Wohlstand, einer gesellschaftlichen Erneuerung und einem kräftigen Antrieb zu ungeahnten menschlichen wie wirtschaftlichen Zielen belohnt werden.“