Italien gedenkt seiner Holocaust-Opfer
ROM, 28. Januar 2010 (ZENIT.org).- Auch Italien begeht mit unzähligen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen den internationalen Holocaust-Gedenktag. Seit ein paar Jahren widmet man in den Schulen der Aufklärung über die Verbrechen des Faschismus und Nationalsozialismus besondere Aufmerksamkeit. Schließlich handelt es sich um die letzte Generation, die die Gelegenheit hat, die wenigen noch lebenden Zeitzeugen der Shoa zu befragen. Der jetzigen Jugend wird die Aufgabe zukommen, diese direkten Zeugnisse an die nachfolgenden Generationen weiterzuvermitteln und somit die Erinnerung an den Genozid wach zu halten. Zu den didaktischen Initiativen mancher Schulen gehören auch Besuche des Konzentrationslagers Auschwitz, die von Ex-Deportierten geführt werden.
Im Vergleich zu den anderen nord- und westeuropäischen Ländern hat Italien weitaus weniger Opfer zu beklagen. Dass schätzungsweise „nur“ 7800 von den 50.000 damaligen italienische Juden ums Leben kamen, und zwar vornehmlich während der deutschen Besatzungszeit, wird allgemein darauf zurückgeführt, dass im faschistischen Italien eine radikalisierte Form des Antisemitismus in der Bevölkerung nie Fuß gefasst hatte. Tatsächlich ist eine Vernichtungsstrategie von Mussolini nicht bekannt, wohl aber der Plan, innerhalb von zehn Jahren alle Juden zu internieren, um sie des Landes zu verweisen. Ob der Duce damit in Wirklichkeit eine „Umsiedlungsaktion“ nach deutschem Modell im Auge hatte, ist schwer zu sagen. Er selbst behauptete noch 1938 „Diskriminierung, aber keine Verfolgung“ zu beabsichtigen. Die Mitverantwortung und Anteil des Faschismus am Holocaust wird heute gerne klein gehalten. Oder man schiebt die Schuld auf den fatalen Einfluss Hitlers, seinem fanatischen Bündnispartner. Auf jeden Fall rückte die Judenfrage mit dem Kriegseintritt Italiens 1940 und seinen katastrophalen Folgen zunächst in den Hintergrund.
Das heißt jedoch nicht, dass die hebräische Bevölkerung unter dem Faschismus frei und sicher gewesen wäre. Nur drei Monate nach Hitlers Besuch in Rom im Mai 1938 wurde die arische Rassentheorie Gesetz, die das sofortige Verbot von Mischehen und den radikaler Ausschluss alle jüdischen Bürger aus dem öffentlichen Leben begründeten. Dass bei der Abfassung die Nürnberger Gesetze Pate gestanden hatten, liegt auf der Hand: Verjagung aus allen öffentlichen Ämtern und Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Ministerien und Heer.
Die Güter von Unternehmern, Bankiers, Inhabern von Versicherungen wurden aus „Volksinteresse“ konfisziert, ihre Konten eingefroren. Die plötzliche Segregation traf nicht nur den hohen Anteil von Intellektuellen unter den jüdischen Bürgern wie ein Schlag, sondern vor allem auch zahlreiche Anhänger des Faschismus. Denn die italienischen Juden betrachteten sich selbst nach der Gründung der Monarchie 1871 als besonders stolze und treue Staatsbürger. Sie sahen im König ihren Befreier, denn dieser hatte ihnen damals erstmals in der Geschichte Italiens volle Bürgerrechte verliehen. Und der Enkel des Befreiers, König Viktor Emmanuel III. segnete nun die faschistischen Rassengesetze mit ab.
Gedemütigt und verarmt begann der Leidensweg der italienischen Juden, der mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten nach der Absetzung Mussolinis im Juli 1943 seinen Höhepunkt erreichen sollte. Die deutsche Besatzung begann landesweit mit einer Hetzjagd auf jüdische Bürger, zuerst verborgen, später auch offen. Die unter den Faschisten eingerichteten Gefangenenlager in Norditalien für Oppositionelle wurde unter deutscher Leitung in Durchgangs- und Vernichtungslager umgewandelt (z.B. San Sabba und Fossoli).
Die Razzia der SS im römischen Ghetto ging als besonders traurige Episode in die Geschichte ein. Hier wurden im Morgengrauen des 16. Oktober über tausend Menschen aus ihren Häusern gezerrt und in versiegelten Viehwagons nach Auschwitz deportiert. Es handelte sich vornehmlich um Frauen, Kinder und Alte, sogar ein Neugeborenes war unter ihnen. Die meisten jüdischen Männer hatten sich bei Einmarsch der deutschen Truppen in Rom vorsorglich versteckt. Der Räumung ging eine perfide Vorgeschichte voraus.
Am 26. September bestellte SS-Kommandant Herbert Kappler den Oberrabbiner zu sich und verlangte innerhalb von 36 Stunden die Zahlung von 50 kg Gold als Gegenwert für die Verschonung von 200 römischen Juden. In fiebrigen Eifer sammelte die jüdische Gemeinde allen Schmuck, den sie auftreiben konnten. Als man tatsächlich schaffte, die geforderte Goldmenge pünktlich abzuliefern, atmeten die jüdischen Bewohner auf. Man glaubte, sich freigekauft zu haben. Niemals hätten die wehrlosen Ghettobürger an eine niederträchtige Falle gedacht. Kappler rühmte in einem Bericht sein Vorgehen: „Judenaktion heute nach büromäßig bestmöglichst ausgearbeitetem Plan gestartet und abgeschlossen“. Er nahm in jener Nacht 1259 Juden gefangen. In weiteren „Säuberungsaktionen“, die noch bis zum Truppenabzug andauerte, wurden insgesamt 2091 Personen aus der Hauptstadt abtransportiert. Nur siebzehn Deportierte kehrten nach dem Krieg zurück, davon leben heute noch zwei.
Kappler sollte eigentlich die gesamte jüdische Bevölkerung der Hauptstadt, etwa 10.000 damals, aussondern. Er beschlagnahmte im Einwohnermeldeamt die jüdischen Bürgerlisten, die Mussolini 1938 angeordnet hatte, und ließ alle registrierte Adressen von Juden durchsuchen. Dass ein Grossteil seiner Razzia entkamen, ist unter anderem auf die Hilfe von mutigen Mitbürgern und Kleriker zurückzuführen, die viele jüdische Familien in ihren Häusern und Konventen versteckten. Dennoch sind auch einige Fälle von Denunziationen bekannt, die durch die das von der SS ausgeschriebene Kopfgeld von 5000 Lire (entsprach einem durchschnittlichen Monatsgehalt) begünstigt wurde.
Man hat heute wieder die Einwohnerzahlen jüdischer Bürger vor dem Krieg erreicht. Es leben zurzeit knapp 50.000 Juden in Italien, 35.000 davon sind in den 21 jüdischen Gemeindeverbänden als Mitglieder eingetragen. Die jüdische Gemeinschaft präsentiert sich als selbstbewusste, integrierte italienische Bürgerschaft und nimmt aktiv am kulturellen, sozialen und politischen Leben des Landes teil.
Rom stellt mit seinen 16.000 Mitgliedern die größte und älteste Gemeinde dar. Sie wurde wahrscheinlich bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert gegründet und ist somit die älteste jüdische Diasporaansiedlung Europas. Aus Rom zogen Juden im Mittelalter in das Rhein- und Maingebiet und gründeten die Gemeinden in Köln, Mainz, Speyer und Worms.