Allerheiligen in Rom: Kronen und Aureolen

Ausstellung im Palazzo Venezia in Rom

ROM, 2. November 2009 (ZENIT.org).-Die meisten Rombesucher kennen den eleganten, etwas streng anmutenden Palazzo Venezia nur von Außen. Er flankiert die gleichnamige große Piazza, Verkehrsknotenpunkt der römischen Altstadt und Tag wie Nacht von Autos und scheppernden Stadtbussen umtost. Ein Platz, an dem man sich nur an einem autofreien Sonntag gerne aufhält.

Zinnenkranz und Eckturm verleihen dem Palast auf den ersten Blick einen wehrhaften, mittelalterlichen Charakter. Dass es sich jedoch um den ersten Renaissancebau Roms handelt, erfährt der Besucher erst nach Betreten des mit Palmen und Pinien begrünten Innenhofes. Hier offenbart sich die Frührenaissance in ihrer reinsten und repräsentativsten Ausprägung: den Hof ziert eine wunderschöne Loggia mit Arkaden, die der Fassade des Kolosseums nachempfunden ist. Vielleicht ist es als Glück zu betrachten, dass sich nur selten Touristengruppen hierhin verirren und den Zauber des Ortes stören.Einst in Auftrag des venezianischen Kardinals Pietro Barbo, der spätere Papst Paul II., als Residenz errichtet (1455-67), hat der Palazzo Venezia in der nachfolgenden Zeit illustre Gäste gesehen. So wurde die Einberufung des Konzils von Trient, das den Auftakt zur Gegenreformation geben sollte, von dem Habsburgerkaiser Karl V. und Papst Paul III. in seinen Mauern vereinbart.

1916 fiel das Gebäude an den italienischen Staat. Dass Mussolini während des Faschismus seinen Amtssitz darin aufgeschlagen hatte und vom Balkonfenster des Weltkartensaals zackige Reden zum Volk hielt, gehört sicherlich zu dem unrühmlichen Teil seiner Geschichte. Heute beherbergt der Palast außer einer archäologischen Bibliothek eine wenig beachtete Sammlung von Kleinkunst, Waffen, Teppichen und Gemälden.

Einen Anlass, das Palastinnere mit seinem herrlichen Treppenhaus und den Freskensälen zu würdigen, liefert nun eine vor kurzem eröffnete Ausstellung, die sich ein — im Hinblick auf die heutigen Moden — ungewöhnliches Thema vorgenommen hat.

Unter dem Titel „Macht und Gnade. Die Schutzpatrone Europas“ sind in einer Art historischen Rundschau die Heiligen Europas von den Anfängen des Christentums bis in die heutige Zeit vorgeführt. Über hundert Meisterwerke aus europäischen und russischen Sammlungen illustrieren wie in einem Kodex den Wandel der Heiligenverehrung und ihrer Hagiographie. Heilige waren zu allen Zeiten Gegenstand der Kunst. Das zeigen herausragende Werke von Malern wie van Eyck, Memling, Mantegna, Del Sarto, van Dyck, Tizian, Veronese, El Greco, Guercino, Caravaggio, Murillo, Tiepolo und Ingres. Gemälde, Flügelaltäre, Ikonen, Glasfenster, Statuetten, Inkunabeln und Miniaturmalerei verteilen sich auf zehn Raumabschnitte. Jede Raumeinheit behandelt bestimmte Aspekte und Epochen der Heiligenverehrung. Gezielte Beleuchtung sorgt für effektvolle Präsentation der einzelnen Werke vor riesigen, schwarzen Panelen. Das gilt leider nicht für die Texttafeln, die für das Verständnis des Ausstellungskonzepts unentbehrlich sind und die der Besucher nur mit Mühe im Dunkeln entziffern kann.

Untersucht wird nicht nur der Aspekt der Volksfrömmigkeit. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die kulturellen, sozialen und politischen Wechselwirkungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Heiligen, sind doch die Heiligen auch spezifischer Ausdruck einer Landeskultur und Nationalidentität. So berücksichtigt die Ausstellung bewusst die Heiligenverehrung der einzelnen europäischen Staaten, die die Ausbreitung und Konsolidierung des Christentums begleitet hat. Unter dem Begriff „Heiliger“ wird in der katholischen und orthodoxen Kirche allgemein eine Person verstanden, die die Gleichwerdung mit Gott erlangt, indem sie das eigene Handeln dem Willen Gottes angleicht. Erst mit dem Tod ist die „unificatio“, die Vereinigung mit Gott ganz möglich. Ursprünglich war der Heilige nicht direkter Adressat von Verehrung, vielmehr wurde er als Mittler um Fürbitte bei Gott angerufen. Mit Aufkommen von Reliquienkult und Wallfahrten jedoch verwischten sich in der religiösen Praxis die Grenzen zwischen Anbetung und Anrufung.

Als erste Heilige der Urkirche verehrte man seit dem 2. Jh. neben den Aposteln die Märtyrer (griechisches Wort für Zeugnis), die ihr Leben als höchstes Zeugnis ihres Glaubens gegeben hatten. Nach der Verfolgungszeit erweiterte sich der Heiligenbegriff auch auf die sog. „confessores“, die zwar verfolgt worden, aber dem Martyrium entgangen waren, und auf Menschen mit einem „engelgleichen Leben“. Das ökumenische Konzil von Ephesos begünstigte 431 die Marienverehrung mit der Verleihung des Titels der Theotokos, Gottesgebärerin an Maria, die seitdem eine erhabene Stellung („cultus hyperduliae“) unter den Heiligen im Westen wie im Osten einnimmt.

Im frühen Mittelalter wurden mit der Ausdehnung des Christentums zunehmend Bischöfe (Martin von Tour, Nikolaus von Myra), aber vor allem Mönche und Eremiten in den Kreis der Heiligen aufgenommen. Die radikal-asketische Lebensweise in den Klöstern oder Einsiedeleien boten ein neues christliches Lebensmodell. An erster Stelle sei hier der Vater des westlichen Mönchtums Benedikt von Nursia genannt, der von Paul VI. zum ersten Schutzpatron Europas erhoben wurde. Eine besondere Rolle kommt in jenen Jahrhunderten auch den Missionaren zu, die Kirchen in Gallien, Germanien und unter den Slawenvölkern stiften und so das Evangelium in den heidnischen Gebieten Europas verbreiteten. Die Balkanmission von Methodius und Kyrill sind unbestrittene Leistungen. Als deutsche Regionalheilige werden Bonifatius (gest. 754), einst nur im Raum Fulda, dann später aufgestiegen zum „Apostel der Deutschen“, und der hl. Wolfgang zitiert, Eremit vom Abersee (Wolfgangsee) und Schutzpatron von Bayern.

Eine Symbiose von germanischen Rittertugenden und evangelischer Botschaft verkörpert der hl. Georg (gest. 305). Im Mittelalter dichtet man dem frühchristlichen Märtyrer zahlreiche Legenden an, die sich von der historischen Figur entfernen. Die bekannte Legende vom Drachenkampf wird zum beliebten Thema in der Kunst, wie der elegante Ritter mit dem erlegten Drachen auf dem Renaissancegemälde von Andrea Mantegna (1468) zeigt, auch Titelbild der Ausstellung. Georg ist ein Beispiel für Verehrung sowohl im Westen als auch in der Ostkirche, wo man ihn zu den „Großmärtyrern“ zählt; Georgien ist nach ihm benannt.

In Mitteleuropa bildet sich der Typ des Adelsheiligen heraus, der zur Landeselite gehörte oder gar Monarch sein konnte. Ein erster solcher Fall ist König Stephan I. von Ungarn, dem das Land die Christianisierung verdankt. Seine Kanonisierung wurde von dem später selber heilig gesprochenen König Ladislaus (1048-95) vorangetrieben. Großartig die zwei Holzstatuetten aus Budapest im 6. Raum, die die beiden Könige darstellen. Mit der Kodifizierung des Heiligsprechungsverfahrens im 12. Jh. sicherte sich der Papst das alleinige Recht gegenüber den Bischöfen und Synoden, Heilige zu ernennen. Natürlich konnte auf ihn besonderer Druck ausgeübt werden, denn häufig erhofften sich die Antragsteller selbst stärkere Legitimität über die Erhöhung ihres Favoriten. Nicht immer wird in der Vergangenheit die vorbildliche christliche Lebensführung allein für eine Kanonisierung ausschlaggebend gewesen sein.

Dass Kanonisierung auch als politisches Instrument von Herrschenden genutzt werden konnte, wird besonders deutlich an dem Fall des ermordeten Erzbischofs von Canterbury, Thomas Becket (1118-1170), der von seinem Mörder, Heinrich II., nur drei Jahre später zum persönlichen Schutzpatron ernannt wurde. So hat das Christentum in Europa nicht selten den Konflikt zwischen Macht und Religion, zwischen „civitas“ und „ecclesia“ erlebt.

Die großen Bettelorden haben seit dem Hohen Mittelalter zur Verehrung von Frauen beigetragen, wie Clara von Assisi und Katerina von Siena veranschaulichen. Im Gegensatz zu Italien allerdings entstammten die zur Ehren der Altäre gehobenen Frauen im restlichen Europa meistens hochadligem Hause, wenn man an Hildegard von Bingen (1098-1179) oder Elisabeth von Thüringen denkt.

Der Begriff des „patronus“ wurde erstmals im 4. Jahrhundert von Ambrosius aus dem römischen Klientelwesen auf die Heiligen übertragen. Er zeigte die Schutzfunktion des Patrons an. Im Mittelalter sollte sich jedoch das Phänomen verselbständigen. Schutzpatrone wurden für alle Kategorien gewählt, zunächst nur für Länder, Diözesen, Kirchen und Städte, später gar für Stände und Berufe, unter deren Schutz und Hilfe man sich stellen wollte. Ein treffendes Beispiel für den süddeutschen Raum und Österreich ist der hl. Florian als Schirmherr der Feuerwehr, dessen volkstümliche Verehrung zum schmunzeln anregende Gedichte hervorgebracht hat (Oh heiliger Sankt Florian, Verschon unser Haus, steck‘ andere an!). Die Ausstellung zitiert hierzu die grazile Holzfigur des Heiligen vom berühmten Kefermarkter Flügelaltar, einem Hauptwerk der Gotik (1490-97).

Mit den von antiklerikalem Klima begleiteten großen Nationalbewegungen im 19. Jh. werden im Suchen nach nationalen Identitäten bekannte Heilige zur Nationalheiligen gekürt oder auch in Vergessenheit geratene Märtyrer zu heroischen Heiligenfiguren stilisiert. So wurde Jeanne d’Arc (gest. 1431) in Gestalt des heldenhaften Bauernmädchens zum Nationalmythos Frankreichs verklärt.

Nach heute geltendem römisch-katholischem Kirchenrecht müssen der Kanonisation die Seligsprechung vorausgehen und strenge Kriterien erfüllt sein, um in den Kanon der Heiligen aufgenommen zu werden. Dennoch ist die Suche nach Vorbildern, sind die Heiligsprechungen in unserem Zeitalter nicht weniger geworden. Papst Johannes Paul II. nahm den Ausspruch seines Vorgängers Paul VI. geradezu wörtlich, der meinte, die moderne Gesellschaft brauche keine Lehrmeister sondern Zeugen. Während seines Pontifikats wurden 482 Personen heilig gesprochen.

Im Zuge der wachsenden Einheit Europas sind auch für den Kontinent Schutzpatrone erforderlich geworden. Im Ganzen sind es sechs, die unter den wichtigsten Protagonisten der Evangelisierung Europas in jüngerer Zeit ausgewählt wurden (1964-1999). Drei stammen aus dem ersten Jahrtausend: Benedikt von Nursia und die Brüder Methodius und Kyrill. Hingegen als Vertreter des zweiten Jahrtausend wünschte Johannes Paul drei weibliche Heilige – wohl in dem Ansinnen, die Rolle der Frauen in der Kirche nachträglich aufzuwerten und der gesellschaftlichen Geschlechtergleichstellung anzupassen: zwei Mystikerinnen aus dem Spätmittelalter, die hl. Birgitta, schwedische Ordensgründerin (gest. 1373), und die hl. Katharina von Siena (gest. 1380), die sich mit ihren Briefen um die Rückkehr der Päpste aus Avignon verdient gemacht hat. Als dritte Patronin ernannte der Papst die konvertierte Jüdin, Karmeliterin, Philosophin und Frauenrechtlerin Teresia Benedicta a Cruce, ehemals Edith Stein, die 1942 in Auschwitz das Martyrium erlitt.

Das religiös inspirierte Konzept der Schau trägt eindeutig die Handschrift des engagierten Don Alessio Geretti vom Komitee von San Floriano, der mit seinen alljährlichen Ausstellungen zur Sakralkunst in Illegio, in den Karnischen Alpen internationale Publikumserfolge verbuchen konnte. Die Ausstellung im Palazzo Venezia samt Katalog (Skira Verlag) sind in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Museumspol von Rom entstanden.

Die Schau möchte mit dem Rückblick auf die religiöse und kulturelle Vergangenheit Europas auch einen Ausblick auf die Zukunft des Christentums in unserem Kontinent geben – gemeint ist natürlich die gerade im Bau befindliche Europäischen Verfassung -, die die Kirche mit Sorge verfolgt. Die erstmalige Gegenüberstellung von Kunstwerken und Traditionen des lateinischen Westens und die des griechischen Ostens weisen ausdrücklich auf die verbindenden Gemeinsamkeiten hin, auf ein Stück gemeinsamer Geschichte, auf unser gemeinsames Erbe, das es nun zu verwalten gilt. So sind die hier vorgeführten siebzig Heiligen der verschiedenen europäischen Völker gleichsam als Zeugen der Vielfalt dieses Erbes zu verstehen.

Bezug nehmend auf den Titel und Leitmotiv der Ausstellung, meint Monsignore Gianfranco Ravasi abschließend in der Pressekonferenz: “Macht (Staat) und Gnade (Kirche) sind nicht dazu verdammt, in einem Konflikt zu leben, aber die Voraussetzung dazu ist, dass die Freiheit und Würde stets in der Geschichte der Menschheit siegen werden. Das Gleichgewicht zwischen Macht und Gnade hängt vom Prinzip der Religionsfreiheit ab, das das Kriterium zum Verständnis des Laienstaates ist.“ Die Ausstellung wurde von Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone und dem italienischen Kulturminister Bondi am 7. Oktober eingeweiht.

Rom- Palazzo Venezia – Via del Plebiscito 118 – Die Ausstellung geht noch bis 10. Januar 2010!

Informationen unter: http://www.romeguide.it/mostre/ilpotereelagrazia/ilpotereelagrazia.html