Paradigmenwandel in kleinen Schritten

Die Reform des päpstlichen Familieninstituts ist eine entscheidende Etappe in der Umsetzung von Amoris laetitia

Explizit.net – Während das öffentliche Interesse auf die innerkirchliche Polemik um das apostolische Lehrschreiben Amoris laetitia konzentriert ist, gehen in Rom – in aller Stille – die Reformen weiter. Insbesondere die jüngsten tragen revolutionäres Potential für die Zukunft in sich.

Papst Franziskus hat eine Neuausrichtung und Umstrukturierung der päpstlichen Universitäten eingeleitet, der Schmiede der Moraltheologie und der geistlichen Führungsschicht. Sie dürfen als Dreh- und Angelpunkt für den Paradigmenwandel betrachtet werden, den Bergoglio fordert: Theologie und Pastoral sollen wieder zusammengefügt werden.

Im Zentrum der Reform steht das von Johannes Paul II. 1981 gegründete Familieninstitut, das zur Päpstlichen Lateran-Universität gehört. Es ist die Universität, die traditionell am engsten mit der theologischen Linie des Papstes verknüpft ist, in diesem Fall mit der Linie der beiden Vorgänger von Franziskus.

Gralshüter von Humanae vitae

Unter dem ehemaligen Rektor Msgr. Prof. Livio Melina, Schüler des  kürzlich verstorbenen erzkonservativen Kardinal Carlo Caffarra, – einer der Autoren der Dubia -, hatte sich dort schon im Vorfeld der Familiensynoden eine hartnäckige Opposition gegen den Papst formiert. Das Institut wurde daher nicht zu dem Diskussionsforum eingeladen. Einige, dem rechten Flügel des Opus Dei nahestehenden Dozenten, haben daraufhin ihre Einwände gegen jegliches Abrücken von der vorherrschenden Morallehre in der Presse kundgetan. Mit Aufrufen „Finger weg von Paul VI.“ scheuten sie nicht, in offene Konfrontation zum Pontifex zu treten. Sie verstehen sich als Gralshüter von Humanae vitae, der Enzyklika des Montini-Papstes, mit der künstliche Kontrazeptiva als Eingriff gegen den göttlichen Schöpfungsplan gebannt wurden.

Neue Institutsleitung: statt Moraltheologen Männer des Dialogs

Franziskus ging das Problem in kleinen Schritten an. Als erstes tauschte er im August 2016 die Institutsleitung aus. Neuer Rektor wurde der Mailänder Fundamentaltheologe und Musikwissenschaftler Msgr. Pierangelo Sequeri. Nicht unbedingt ein Experte in Moraltheologie, aber ein Mann von breitgefächerter Kultur, der einige interdisziplinäre Projekte ins Leben gerufen hat. Eine anthropologische Neuausrichtung des Instituts wird damit erleichtert. Zum Großkanzler, eine Art Supervisor, wurde Erzbischof Vincenzo Paglia ernannt, der auch der Päpstlichen Akademie für das Leben vorsteht. Damit sind eine Zusammenarbeit und gewisse Gleichschaltung der beiden Lehr- und Forschungsstätten vorprogrammiert. Einbezogen in Projekte werden auch die Bildungskongregation und das neue Dikasterium für Familie, Laien und Leben. Der Akademie wurde einst vorgeworfen, dass sie sich nur mit dem Anfang und dem Ende des menschlichen Daseins beschäftige.

Der in der karitativen Basisgemeinschaft Sant‘Egidio aktive Erzbischof Paglia hat viel Erfahrung in internationaler Pastoralarbeit, er kennt soziale Brennpunkte und sucht den Dialog auch mit nichtkatholischen Wissenschaftlern und anderen Religionen.

Abriss und Neubau mit denselben Steinen

Damit nicht genug, folgte auf die Personalumstellung im September 2017 überraschend die Auflösung des alten Instituts und seine Neugründung in Form eines Motu proprio. Aus dem „Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie“ wurde kurzum das „Päpstliche Theologische Institut Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften. Die nur minimale Namensänderung soll Kontinuität mit den Vorgänger-Päpsten suggerieren. Gleichzeitig markiert der Akt der Neugründung einen Bruch mit der alten Lehrtradition. Schließlich „erlauben die anthropologisch-kulturelle Veränderung (…) es nicht, sich auf Praktiken der Seelsorge und der Mission zu beschränken, die Formen und Modelle der Vergangenheit spiegeln“, sagte Franziskus in der Eröffnungsrede. Vielmehr sollen die auf der Synode gewonnenen Erkenntnisse über Ehe und Familie in die neue Lehre einfließen, vertieft und theologisch untermauert werden.

Das Institut hat Auslandssitze in fünf Kontinenten und ist berechtigt, akademische Titel zu verleihen. Es bietet vor allem Priestern, Theologen, Ordensleuten verschiedene Zusatzausbildungen oder Promotionsarbeiten im Bereich Familientheologie und Ehepastoral an. Zu einem geringen Anteil wird das Lehrangebot auch von Psychologen und Sozialarbeitern genutzt, die in kirchlichen oder staatlichen Familienberatungsstellen tätig sind.

 

Neuer Lehrstuhl auf die Familienproblematik in der westlichen Welt zugeschnitten

Die Mitarbeiter der Denkfabrik wurden zunächst alle übernommen und aufgefordert, sich konstruktiv an dem „Umbau“ zu beteiligen. Die neuen Lehrprogramme müssen erst noch im Detail ausgearbeitet werden, aber die Weichen sind gestellt. Am 25. Januar wurde ein neuer Lehrstuhl zu Ehe und Familie eingeweiht. Er ist bezeichnenderweise nach einem zentralen Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, „Gaudium et spes“, benannt, in dem es um die Herausforderungen der Kirche in der modernen Welt geht.

Der Lehrstuhl soll sich vor allem mit der Situation von Partnerschaften und Familien in den westlichen Gesellschaften befassen: es sind diejenigen, die am stärksten vom Zerfall der Familien und Ehen bedroht sind, und in denen immer weniger Kinder geboren werden – und die sich am stärksten von der Kirche entfernt haben. Weitere Themen wie die Kluft zwischen den Generationen, das Verhältnis von Wirtschaft und Familie, der Umgang mit der Schöpfung und Gleichberechtigung stehen auf dem Plan.

Msgr. Sequeri stellte die neuen Richtlinien bereits am 18. März in dem Institut in Mexiko-Stadt vor. Eine Studiengruppe unter der Leitung von dem Professor für Kulturanthropologie, Msgr. Marengo Gilfredo, wurde beauftragt, die Entstehungsgeschichte von Humanae Vitae zu erforschen. Paul VI. entschied damals gegen die Mehrheit in der Bischofs- und Studienkommission, die zur vorangehenden Beratung eingesetzt worden waren. Diese gelangten zu der Auffassung, dass empfängnisverhütende Mittel an sich nicht verwerflich seien. Paul VI. hat jedoch am Ende das Gutachten einer Gruppe von fünf Kardinälen, zu denen auch Wojtyla gehörte, vorgezogen. Die Enzyklika polarisierte damals – ähnlich wie Amoris laetitia – die Kirche in Befürworter und Ablehner.