Die mächtige Papst-Schwägerin und das wiedergefundene Siegel der Heiligen Pforte

Donna Olimpia und das Pilgerjubiläum 1650

Zenit.org – Als Innozenz X. am 4. Mai 1649 das Siegel der Porta Sancta zerschlug, um das Heilige Jahr zu akklamieren, stand sie in vorderster Reihe neben dem alten Pontifex. Eine ungewöhnliche Ehre für eine Frau, die schließlich „nur“ die Schwägerin des Papstes war. Aber Olimpia Maidalchini (1591-1657), kurz Donna Olimpia genannt, war eben alles andere als eine gewöhnliche Frau.

Weder ausnehmend schön noch gebildet, waren es Ehrgeiz und Machthunger, die sie mithilfe einer geschickter Heiratspolitik zu einer Schlüsselfigur der römischen Aristokratie im 17. Jahrhundert werden ließen. Sie heiratete in zweiter Ehe den fast 30 Jahre älteren Pamphilio Pamphili, den Bruder des zukünftigen Papstes. Giovanni Battista Pamphilj (1774-1655) soll als Innozenz X. in die Geschichte eingehen. Donna Olimpia richtete ihr Augenmerk ganz auf dessen Karriere, die sie mit Diplomatie und Insistenz bis zur Thronbesteigung begleitete. Dafür setzte sie der Papst als Universalerbin seiner weltlichen Habe ein und verlieh ihr den Fürstentitel. Ihre Macht in der Kurie war der eines Kardinalsnepoten vergleichbar. Sie brachten ihr ein stolzes Vermögen ein.

Um es dem kunstwütigen Barberini-Geschlecht des Vorgängerpapstes Urban VIII. gleichzutun, ließ sie eine riesige Villa auf der Vatikanseite des Tibers anlegen, die heutige Villa Doria Pamphili. Die zentrale Piazza Navona mit ihren drei Brunnen, Schauplatz barocker Prachtentfaltung, wurde zum privaten Salon des Pamphilj-Geschlechts. Dort stand die Familienresidenz und es wurden dort unter freiem Himmel Messen gefeiert. In jener Epoche pflegten sich die Familien des Papstes wie eine Dynastie zu stilisieren.

Marmorbüste der Olimpia Maidalchini von Alessandro Algardi ca. 1647, Galleria Doria Pamphilj, Rom Foto: lasinodoro.com
Marmorbüste der Olimpia Maidalchini von Alessandro Algardi ca. 1647, Galleria Doria Pamphilj, Rom Foto: lasinodoro.com

Das Volk hingegen betrachtete den steilen Aufstieg der aus dem verarmten Provinzadel stammenden Frau mit Argwohn. Auch die zeitgenössischen Autoren schmähten sie. Die Nähe zum Papst, die Teilhabe als Frau an seiner Hausmacht wurden (fälschlicherweise) als erotisches Verhältnis ausgelegt. Das Volk nannte sie spöttisch die „Päpstin“, oder wegen ihres despotischen Gehabe auch „Pimpaccia“, die Aufgetakelte.

Mit dem plötzlichen Auffinden des verschollen geglaubten Siegels wird die außergewöhnliche Episode des Jubiläumszeremoniells erneut lebendig. Zeitgenossen kritisierten damals die Präsenz der mächtigen Papst-Schwägerin. Das Siegel wurde jüngst in einem geschlossenen romanischen Kirchlein in Trastevere entdeckt, das noch heute im Besitz der Pamphilj ist: Santa Maria in Cappella (11. Jh.). Die Familie hatte keine Ahnung, dass es sich bei dem in der Türlaibung eingelassenen Marmorkreuz (69x43cm) um das Siegel handelt, das der berühmte Barockkünstler Francesco Borromini für den Verschluss der Heiligen Pforte im Jahr 1625 fertigte. Die aus winzigen farbigen Mosaiksteinen eingesetzten Bienen belegen als Wappentiere den damaligen Auftraggeber Urban VIII.

Die Entdeckung ist der Verdienst der Vatikan-Archivarin Assunta di Sante, die in den verstaubten Dokumenten der Petersdom-Bauhütte auf eine detaillierte Beschreibung des Auftrags und Werkes stieß. Aber erst ein Rundschreiben an die Hinterbliebenen der alten römischen Adelsgeschlechter, eine Initiative der deutsche Kunsthistorikerin Dr. Veronika Seifert, hat das Werk im Besitz der Pamphilj aufgespürt. Die überlieferten Maße und die noch vorhandenen Spuren der Hammerschläge machten die Identifizierung eindeutig. Für 25 Jahre versiegelte es die bronzene Pforte im Petersdom, bis es Innozenz X. zum Auftakt des folgenden Pilgerjubiläums entfernte, um anschließend die Flügel aufzudrücken.

Wie es in die kleine Kirche kam, ist leicht zu rekonstruieren. Nachdem Olimpia ihre Präsenz bei der Eröffnungszeremonie gegen den Willen des Staatssekretärs durchgesetzt hatte, werden sie oder der damalige Kardinalnepote Francesco Maidalchini, der unter ihrer Fuchtel stehende Neffe, das Kreuz an sich genommen und in die Kapelle gebracht haben. Der erst 19jährige Neffe teilte zumindest ihre Dreistigkeit und Habsucht. Er soll bei der Öffnung der Heiligen Pforte in der anderen Patriarchalbasilika Santa Maria Maggiore versucht haben, sich der darin vermauerten Goldschatulle mit Pilgergaben zu bemächtigen. Nur das lautstarke Eingreifen der Kanoniker konnte das verhindern.

Kreuz-Siegel von Francesco Borromini, 1625; in S. Maria in Cappella, Rom Foto: asinodoro.com
Kreuz-Siegel von Francesco Borromini, 1625; in S. Maria in Cappella, Rom Foto: asinodoro.com

Jedenfalls hatte Olimpia das Landstück neben der Kapelle erworben, um die berühmten hängenden Gärten mit seltenen Pflanzen und Kunstwerken anzulegen. An den Ufern des Flusses pflegte die Papessa im Sommer zu baden. Der Pontifex übergab nach dem Jubiläum die Schirmherrschaft des Marienkirchleins an seine Schwägerin, die es fortan als Privatkapelle benutzte. Nach dem Tod der Olimpia, sie starb 1657 von Papst Alexander VII. verbannt an der Pest, verwahrloste das gesamte Gelände. Im 19. Jahrhundert verwandelte die Familie die alten Gebäude in ein Hospiz, die Kirche wurde spirituell von den Fährschiffern benutzt.

Das Kreuz ist also mit den glorreichen Jahren der Donna Olimpia verknüpft, mit dem Höhepunkt ihrer Macht. Die kurz zuvor von dem Bildhauer Alessandro Algardi geschaffene Büste (Rom, Galleria Doria Pamphili) zeigt das Selbstbewusstsein und die Willensstärke der Endvierzigerin auf eindrucksvolle Weise. Olimpias Organisationstalent war wohl beachtlich. Im Heiligen Jahr führte sie als frisch ernannte Priorin des Pilgerhospizes eine erfolgreiche Spendenkampagne durch, während der Geld, Wäsche und Lebensmittel für die Unterbringung der Pilger gesammelt wurden. Schätzungsweise 700.000 Gläubige wurden in Rom bewirtet, unter denen sich auch konvertierte Protestanten befanden. Der populärste Pilger war sicherlich die Königin Christina von Schweden, die wenig später auf den Thron verzichten und zum Katholizismus übertreten – und vom Papst mit Pomp und offenen Armen empfangen werden soll. Nur zwei Jahre zuvor musste Innozenz X. im Westfälischen Frieden die Protestanten als gleichberechtigte Religion in Europa anerkennen, was von Rom als Schmach aufgefasst wurde. Das Jubeljahr 1650 gilt als das letzte der Gegenreformation, die mit dem Westfälischen Frieden ein erzwungenes und endgültiges Ende fand.

Kein gutes Ende fand auch die Beziehung zwischen Papst und Schwägerin. Am Ende des 11jährigen Pontifikats wurde diese getrübt, nachdem Innozenz X. versuchte, ihren Einfluss an der Kurie und innerhalb der Familie zu dimensionieren. Als er 1655 starb, siegte ihre Raffgier über jeglichen Familiensinn: Olimpia plünderte seine Gemächer und weigerte sich für die Bestattung ihres Schwagers aufzukommen mit den Worten: „Was kann eine arme Witwe schon tun?“ Es soll sich drei Tage niemand um den Toten gekümmert haben, bevor er schließlich ohne jede Feierlichkeiten bestattet wurde.

Arm starb Olimpia zumindest nicht. Als sie nur zwei Jahre später von der Seuche dahingerafft wurde, hinterließ sie satte 2 Millionen Scudi