Italien Schlusslicht im Corona-Exit

In der von der Corona-Epidemie hart betroffenen Lombardei scheint die Situation langsam unter Kontrolle. Die befürchtete Expansion der Epidemie von Nord nach Süditalien hat sich nicht ereignet. Dennoch zögert die Regierung mit einer Lockerung der Ausgangssperre.

Nach über fünf Wochen quasi totalem lockdown beginnt die Kurve der neuen Covid-19-Patienten endlich abzuflachen. Der Höhepunkt war schon um den 23. März erwartet, zwei Wochen nach der Kontaktsperre. Statt als spitzer Gipfel präsentierte sich der Höhepunkt als ein endloses Hochplateau. Ein Rätsel bleibt die anhaltend hohe Sterberate von 400 bis 650 täglich Menschen. Italien steht mit knapp 21.000 Opfern an der Spitze der Pandemie, überholt nur von den USA.

Lockdown wird erst ab Mai gelockert

Der Frühling ist ausgebrochen und die Bürger sind nicht mehr viel länger ohne Aussicht auf eine Lockerung der Restriktionen in den zumeist kleinen Wohnungen zu halten. Daher hat die Regierung von Premier Giuseppe Conte zu Ostern einen Stufenplan vorgelegt, mit dem ab dem 4. Mai die abgewürgte Wirtschaft wieder in Gang gesetzt werden soll. Landwirtschaft, Baugewerbe und Industrie für den Export werden als erstes wieder den Betrieb aufnehmen. Sie unterliegen einem strengen Hygieneprotokoll. Am 18. Mai werden wahrscheinlich der Einzelhandel, die Bekleidungsgeschäfte wieder öffnen. Unter dem Druck des Ministeriums für Kulturgüter werden auch die Museen und archäologischen Parks wie Pompeji ihre Pforten öffnen. Die Gastronomie und Hotels müssen sich hingegen noch bis Juni gedulden. Sie sind die Voraussetzung für einen Neubeginn des lebensnotwendigen Tourismus, der schließlich 15 Prozent der Arbeitsplätze und 13,2 Prozent des BIP ausmacht.

Antikörpertests sollen landesweit eingeführt werden. Wie und wann dies geschehen soll, ist noch nicht bekannt. Besonders vorsichtig ist man mit der Wiederaufnahme des Schul- und Universitätsbetriebs, der auf den September vertagt wurde. Ab dem 4. Mai darf man wieder frei innerhalb seiner Kommune zirkulieren. Das ist für die meisten Menschen hierzulande die wichtigste Erleichterung nach der fast zweimonatigen strikten Ausgangssperre. Das Reisen in andere Regionen bleibt vorerst untersagt.

Damit agiert Italien viel vorsichtiger als Deutschland und selbst Spanien mit der Rückkehr zu Produktion und Handel. Conte, der sich ganz auf seine wissenschaftlichen Berater verlässt, möchte „einen zweiten Ausbruch des Virus vorbeugen“. Die Intensivstationen der Lombardei seien immer noch überlastet.

Quarantäne ist nur noch für die Lombardei gerechtfertigt

Hier drängen sich zwei Fragen auf. Wenn die drakonischen Maßnahmen nicht die erhofften Resultate in der Lombardei erbrachten, ist der Langzeit-Lockdown des gesamten Belpaese der richtige Weg? Stehen dann die wirtschaftlichen Opfer noch im Verhältnis? Der finanzielle Schaden ist kaum zu ermessen, da Italien bereits vor der Krise nahe am Abgrund der Rezession stand. Conte bezifferte ihn mit 500 Milliarden Euro, die er sich als Staatsanleihen und Finanzhilfe von den EU-Partnern erhofft. Je länger der Stillstand von Produktion, Dienstleistungen und Tourismus andauert, desto mehr schwellen die Staatsschulden an.

Je früher medizinisch versorgt, desto geringer die Mortalität

Ein Blick auf die Sterberate von Covid-19-Patienten im Ländervergleich macht deutlich: sie steht nicht nur im Verhältnis zum Zeitpunkt der Entdeckung der Epidemie, zur Dichte und Altersstruktur der Bevölkerung. Entscheidend ist vor allem die medizinische Versorgung vom ersten Tag der Krankheit und die Anzahl der Plätze in der Intensivmedizin. In Italien beträgt die Sterberate 12,7 Prozent, in Deutschland ungefähr 3,5 Prozent. Selbst wenn man in Italien von einer höheren Dunkelziffer Infizierter (ohne Symptome) ausgeht, bleibt der Unterschied krass. In der Lombardei liegt die Mortalität sogar bei 18 Prozent. Wenn Intensiv-Betten und Beatmungsgeräte fehlen, können selbst die besten Ärzte nichts ausrichten.

Intelligente Quarantäne“ ist jetzt entscheidend

Zuhause bleiben genügt nicht allein, um der Pandemie Herr zu werden, stellte die New York Times am 7. April fest. Die neuen Ansteckungen ereignen sich innerhalb der Familien, im Krankenhaus und in Pflegeheimen. Der italienische Ärzteverband verlangt eine neue Strategie: Tests im großen Umfeld und nicht nur bei hohen Fieber, die konsequente Isolierung von Infizierten und Quarantäne auf verschiedenen Ebenen. Venetien, das von dem Virus ebenso überrollt wurde wie die Nachbarregion Lombardei, hat eben mithilfe jener Maßnahmen die Verbreitung des Virus aufgehalten und die Mortalität auf unter 6 Prozent gesenkt. Ein strikter Hygieneplan und Bereitstellung von Schutzkleidung hat verhindert, dass die Krankenhäuser zu Brutstätten wie in der Lombardei wurden. Das erfordert den Einsatz von qualifiziertem mobilen Personal und Krankenwagen. Zentrale Figur ist der Hausarzt, dem eine task force für Hausbesuche zur Seite gestellt wurde. Positiv Getestete werden in speziellen Häusern von der Familie isoliert und medizinisch betreut. Das Gesundheitswesen ist Angelegenheit der Regionalregierungen, unterscheidet sich also von Region zu Region. Die reiche, dicht bevölkerte Lombardei hat es zentralisiert mit wenigen öffentlichen, hochmodernen Krankenhäusern. Das ähnlich wohlhabende Venetien hingegen setzte auf ein homogenes Sanitätsnetz im gesamten Territorium, das sich in der Krise bewährt hat.

Falsches Krisenmanagement

Heute fragen sich Viele, ob es nicht effizienter und billiger für den Staat gewesen wäre, die Krankenhäuser in der von der Epidemie besonders betroffenen Lombardei im großen Stil schnell aufzurüsten anstatt das ganze Land in Dauerquarantäne zu versetzen. Dem lombardischen Gouverneur Attilio Fontana (Lega) werden so einige Fehlentscheidungen nachgesagt. Er hätte die ersten Infektionsherde um Brescia und Bergamo evakuieren müssen. Der 26-Mio-Euro-teure Blitz-Umbau des Mailänder Messegeländes in eine Intensivstation mit 200 Betten gilt als Flop, weil dort Organ- und Herzversagen – häufig Folgen der schweren Lungenentzündung – nicht behandelt werden können. Zu den neuen Infizierten gehören vor allem das Krankenhauspersonal, das in der ersten Phase ohne Schutz arbeitete. Über 120 Ärzte sind bisher an dem Virus gestorben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zurzeit in renommierten Mailänder Alters- und Pflegeheimen, in denen es hunderte von Tote gibt.

Lombardei ist zurecht Buhmann der Nation

Solange der Notstand in der Lombardei anhält, werden auch im restlichen Italien kaum die Restriktionen gelockert. Im Norden bündelt sich die Industrie des Landes. Die Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass aber im armen Süden der wirtschaftliche Schaden vier Mal so schwer wiege wie im Norden. Nicht nachzuvollziehen ist, warum Premierminister Conte nicht die Regionen mit einbezieht in seine Entscheidungen. Sein Beraterteam besteht aus 450 Experten, zu viele, um schnell Lösungen zu finden. Es besteht die Gefahr, dass sich hier die Politik verhaspelt. In Sardinien, Molise, Basilicata und Sizilien, wo es nur wenige Fälle gibt, müsste unbedingt der Tourismus, der dort die wichtigste Einnahmequelle stellt, wieder angeworfen werden. Stattdessen geht die Regierung in Rom nach Produktions-Kategorien vor und trifft keine regionalen Unterscheidungen.