Koptische Minderheit im Visier der Islamisten

Ermordung eines orthodoxen Priesters im Nord-Sinai  

(Zenit.org).-  Pater Mina Abud Sharobim, Sekretär des Bischofs von Al-Arisch im Sinai, wurde vergangenen Samstag von einer lokalen islamistischen Gruppe ermordet. Die Begrüßung der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi kommt der christlichen Minderheit in Ägypten teuer zu stehen.

Diese erste religiös motivierte Gewalttat seit dem Sturz von Mursi ereignete sich in der Nähe von Al-Arisch, einer Stadt an der Mittelmeerküste der Sinai-Halbinsel, unweit vom Gazastreifen. Opfer wurde der 39jährige Gemeindepriester und Sekretär des koptisch-orthodoxen Bischofs des Nordsinai, Kosman. Ein Kugelhagel überraschte ihn in seinem Auto, als er vor seiner Kirche parkte. Die unbekannten Täter konnten auf Motorrädern fliehen, berichtet die Agentur „MidEast Christian News“. Seine Frau, die auf dem Beifahrersitz Zeuge des Attentats wurde, blieb unverletzt.

Die Kirche war seit Wochen Ziel von Drohungen. Nach der kürzlichen Absetzung von Präsident Mursi riefen Moslembrüder und deren Anhänger zum „Freitag des Zorns“ auf. Die Behörden entsandten ein paar Soldaten zum Schutz des Gotteshauses, die den Mord jedoch nicht hatten verhindern können. Die Streitkräfte sehen den Priestermord im Zusammenhang mit einer dichten Serie von Überfällen von radikalisierten bewaffneten Islamisten, die sich auch gegen vier Militärposten richteten. An den beiden Vortagen wurde der Gouverneurssitz in Al-Arisch und der örtliche Flughafen von militanten Gruppen gestürmt und sechs Soldaten getötet.

Das Eingreifen des Militärs in den politischen Entscheidungsprozess, – der unblutige Sturz Mursis und die Außerkraftsetzung der Verfassung – wird von dessen Anhänger als Putsch verurteilt. Daher richtet sich ihr Zorn gegen Soldaten und Polizisten.

Koptische Kirche bestraft für ihre Parteiergreifung im Konflikt

Die christliche Minderheit im islamischen Land, immerhin schätzungsweise sechs Millionen Menschen, war seit der Wahl der Muslimbruderschaft vor einem Jahr stärker denn je Diskriminierungen und Drangsalierung ausgesetzt. Als letzte Woche ein Großteil der Ägypter in Massendemonstrationen landesweit den Rücktritt von Mursi forderte, bezog auch die katholische und orthodoxe koptische Kirche offiziell Position. Das Auftreten von Tawadros II., dem Oberhaupt der ägyptisch-orthodoxen Kopten, an der Seite von General al-Sissa unmittelbar nach der Absetzung von Mursi löste in fundamentalistischen Kreisen heftige Reaktionen aus. Pater Rafik Greiche, Pressesprecher der katholischen Bischofskonferenz in Ägypten, unterstrich gegenüber dem Hilfswerk “Kirche in Not”, dass es sich nicht um einen Staatsstreich handele – wie vielerorts behauptet. „Die Armee hat hingegen nach dem Willen des Volkes gehandelt. Diesen haben sie in den letzten Tagen durch Millionen Unterschriften und gewaltige Demonstrationen in Kairo und dem ganzen Land unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.”

Gleichzeitig warnte er aber vor einer Hexenjagd auf radikale Vertreter des Islam. Patriarch Tawadros II. forderte zusammen mit dem Groß-Iman der Al-Azhar-Moschee, die höchste religiöse Autorität der Sunniten, die Opposition dazu auf, die Muslimbrüder, insbesondere die jüngere Generation, in den neuen Prozess der Regierungsbildung miteinzubeziehen. Diese sei selbst Opfer der Ereignisse, „da sie von ihren Anführern manipuliert worden sei“.

Die Ermordung des Priesters vor seiner Kirche wird von den Kopten als Kriegserklärung der Islamisten gedeutet, als der Beginn eines Kreuzzuges gegen sie. Unter den Christen in Al-Arisch herrsche Panik, schrieb besorgt die österreichische Stiftung „Pro Oriente“ am gestrigen Sonntag.

Kopten befürchten weitere Aggressionen

Nicht nur der nördliche Sinai, sondern auch in anderen Landesteilen sind Christen Zielscheibe von Aggressionen. Unmittelbar nach der Absetzung Mursis kam es in Delgia, ein Nildorf 250 km südlich von Kairo, zu einem Anschlag auf die katholische Ortskirche und das Pfarrhaus. Islamisten plünderten die Gebäude und steckten sie anschließend in Brand. Glücklicherweise gab es keine Verletzte. Der Bischof von Minya, Kamal Fahim Awad (Boutros) Hanna, teilte mit, dass der Alarmzustand andauere. Die Islamisten hätten alle Zugänge zum Dorf blockiert, den ganzen Tag höre man Sprechchöre gegen die Christen, die örtliche Polizei sei hilflos. Man hoffe auf die Intervention des Militärs.

Auch in Oberägypten hätten sich Gewalttaten gegen koptische Christen ereignet, berichtet „Pro Oriente“ weiter. In der Gemeinde Dabeya im Gouvernement Luxor seien 19 Häuser von Kopten und einige ihrer Geschäfte in Brand gesetzt worden. Nach unbestätigten Angaben seien drei Christen ums Leben gekommen. Es mehren sich Berichte über Drohungen von islamistischer Seite gegen koptische Kirchen und Einrichtungen, aber auch gegen koptische Bürger und deren Familien.

Politische Zukunft Ägyptens noch offen

In der Zwischenzeit geht das Verwirrspiel um einen neuen Übergangspräsidenten weiter. Der Sprecher von Interimspräsident Adli Mansur hatte gestern Abend bekannt gegeben, dass der sozialdemokratische Wirtschaftswissenschaftler Siad Bahaa al-Din wahrscheinlich mit dem Posten betraut werde. Laut dem lokalen Nachrichtensender Al-Arabija werde jedoch der neue Favorit wie auch zuvor El-Baradei am Widerstand der ultra-konservativen Nur-Partei scheitern.

Die Zustände in Ägypten ähneln immer mehr einem Bürgerkrieg. Der Konflikt zwischen Ägyptens Militär und der Mursi-Anhänger hat sich seit dem Wochenende verschärft. Nach einem blutigen Zusammenstoß vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde in Kairo, bei der Dutzende von Anhängern des gestürzten Präsidenten starben, wurde die Zentrale der islamistischen Partei der Muslimbruderschaft „Freiheit und Gerechtigkeit“ geschlossen. Derweil schieben sich das Militär und die Islamisten gegenseitig die Schuld an den gewalttätigen Ausschreitungen in die Schuhe. Die salafistische Nur-Partei, die sich nach einem anfänglichen Bündnis mit den Muslimbrüdern auf die Seite der Oppositionsallianz geschlagen hat, erklärte heute jegliche Verhandlungsbereitschaft als beendet. Diese Entscheidung sei aus Protest gegen das „Massaker“ der Streitkräfte gefällt worden.