Sardinen als Gegengift

Kann die junge „Sardinen“-Bewegung Italien aus dem Populismus führen? Die Hoffnung auf einer Kehrtwendung ist berechtigt. Italien kann sich angesichts der Staatsverschuldung keine Populisten leisten.

Die italienischen Sozialdemokraten (PD) atmen auf. Die Vorzeige-Region Emilia Romagna, seit Gedenken Hochburg der Linken, konnte vor einer Übernahme durch die rechtsnationale Lega gerettet werden. Die Wahl am 26. Januar hat dem bisherigen Gouverneur Stefano Bonaccini (PD) einen Vorsprung von 8 Punkten vor der Lega-Kandidatin gegeben. Der überraschende Sieg der seit einiger Zeit schwächelnden Linksdemokraten wird vor allem als Ende des magischen Aufstiegs von Lega-Chef Matteo Salvini gelesen. Der rüde Populist aus Padanien hatte zuvor die Nachbarregion Umbrien erobert und schien ganz Italien für die fremdenfeindliche Lega einzunehmen. Die Wahlkampagne in der reichen Emilia Romagna hat er sogar persönlich geführt. Und das auf aggressive und unorthodoxe Weise: von Haustür zu Haustür. Nun scheint sich erstmals eine Wende abzuzeichnen.

Wahlhelfer Sardinen-Bewegung

Die Wiederwahl von Präsident Bonaccini ist allerdings nicht allein sein Verdienst und das seiner durchaus soliden Regierung. Unbestritten ist der Anteil der „Sardinen“, die die Wahlkampagne mit Flashmobs begleitete. Zehntausende von Italienern aller Altersklassen gehen seit letztem November gegen den Rechtspopulismus und die „Sprache des Hasses“ auf die Straßen. Zunächst nur in der Emilia Romagna, dann in ganz Italien. Zu erkennen sind sie an den selbstgebastelten Fischen, die sie sich anstecken oder hochhalten. Ihr Motto lautet: einzeln sind wir zwar schwach, aber gemeinsam bilden wir einen Schwarm.

Die „Sardinen“ rufen zu einer neuen Demonstration in Rom am 16. Februar auf. Die vergangene vor zwei Monaten war die bisher größte der antipopulistische Bewegung im Lande.

Weg von den Social Media

Die über Nacht von vier jungen Bologneser in Leben gerufene Bewegung fordert eine neue politische Kultur und konkrete Antworten auf gesellschaftliche Probleme. Vor allem verlangt sie von den Politikern, dass sie über die institutionellen Wege kommunizieren und nicht auf twitter oder facebook wie Salvini. An dessen Propaganda in den sozialen Medien, genannt „La bestia“ (Die Bestie), feilt Tag und Nacht ein Team von 35 Digital-Experten. Die „Sardinen“ sind zwar zahlenmäßig überschaubar, doch haben sie die öffentliche Diskussion wieder auf eine sachliche Schiene gehoben. Sie zeigen das Bild eines anderen Italiens, wo Inklusion eine schon lange gelebte Realität ist. Sie sind eine frische Brise in der aufgeheizten, populistischen Debatte über Migration, Kriminalität und Staatsschulden.

Bewegung mit Zukunft?

Ob aus der formlosen Basisbewegung eine dauerhafte Formation wird, bleibt abzuwarten. Ihr Sprecher Mattia Santori hält Distanz zum PD. Er betrachtet sich eher als Vermittler zwischen den Wünschen und Nöten der Bürger und den Parteien des linken Zentrums, die den Kontakt zur Basis verloren haben. Der Wahlerfolg in der Emilia Romagna gibt den zaghaften Sozialdemokraten auch im römischen Parlament Aufwind, wo sie seit September 2019 im Bündnis mit dem M5s regieren. Dem Bündnis wurde keine lange Lebenszeit und Durchschlagkraft prophezeit. Salvini, der nach seinem Misstrauensvotum in die Opposition wechselte, versucht alles, um Neuwahlen zu erzwingen.

Eine konkrete Massnahme fordern die Sardinen sofort: die Abschaffung des diskriminierende Sicherheitspaketes von Salvini und die Verleihung der Staatsbürgerschaft für in Italien aufgewachsenen Kinder von Gastarbeitern (ius culturae).

Dämpfer für die Lega

Erst Mitte Januar hatte das Verfassungsgericht den Antrag auf das Referendum zu einer Wahlreform abgelehnt, die der Lega bei zukünftigen Parlamentswahlen mehr Macht gegeben hätte. Damit ist die Gefahr einer Alleinherrschaft der rechtspopulistischen Partei erst einmal gebannt. Dennoch bleibt die Lega in den Umfragen mit 31% die stärkste politische Kraft im Lande (Umfrage Ixe). Sie ist tief verankert im Territorium. Die Lega sitzt in 13 von 20 Regionalregierungen, sie ist führende Partei in der Lombardei, Trento und im Veneto, wo sich die nationale Industrie konzentriert.

Populismus und Instabilität werden Italien noch lange begleiten

In der nächsten Parlaments-Legislatur ist der Sieg des rechten Flügels aus Lega, Berlusconis Forza Italia und den neofaschistischen Fratelli d’Italia fast Gewissheit – sofern sie sich nicht zerstreiten. Sie kommen derzeit auf knapp 50 Prozent. Doch kann bis zum Ende der Legislatur 2023 noch viel passieren. Die italienischen Wähler sind wankelmütiger denn je. In Talkshows wird täglich die Politik analysiert und Strategien ausgelotet. Doch langfristige Prognosen wagt keiner zu machen. Entscheidend wird die Entwicklung der Fünfsterne Bewegung (M5s) sein, die innerhalb von 20 Monaten von 32 auf unter 15 Prozent abgesackt ist. Nach der kurzen Regierungserfahrung mit Salvini schwört die postideologische Protestbewegung heute: „Nie wieder mit der rechten Lega!“ Doch sind die Wahlsieger von 2018 heute zerstritten und ohne klares Profil, ihr Vorsitzender Luigi Di Maio ist zurückgetreten. Die Sozialdemokraten können nicht auf einen Partner verzichten.