Vom Anti- Kommunisten zum Anti- Berlusconianer

Italien trauert um früheren Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro

(vaticanista; explizit.net)   Italien, ein Land mit zwei Gesichtern wie der doppelte Januskopf. Wenn auf der von den Auslandsmedien bevorzugten Seite zweifellos der skandalumwitterte Unternehmer und Autokrat Silvio Berlusconi herab grinst, so darf man auf die andere Seite das würdige Gesicht eines eisernen Verteidigers der demokratischen Verfassung setzen. Nämlich das von Oscar Luigi Scalfaro. Der frühere Staatspräsident steht für das „andere Italien“, das weniger bekannte vielleicht, fernab der Schlagzeilen.

Scalfaro verstarb in der Nacht zum Sonntag im Alter von 93 Jahren in seiner römischen Wohnung. Mit ihm endet eine Generation von Politikern in Italien, die die Geschichte der Republik mitgeschrieben haben. Es war vor allem eine Politikergeneration, für die Gesetzestreue, Ehrlichkeit und Pflichterfüllung ein moralische Imperativ war.

Kohärenz und Integrität

Giorgio Napolitano, aktueller Staatschef, würdigte heute seinen persönlichen Freund als „Beispiel von Kohärenz und moralischer Integrität, der dem Staat große Verdienste erwiesen hat.“ Das sind sicherlich keine zum Traueranlass herunter gespulte Floskeln. Der nur sieben Jahre jüngere Napolitano hat seine politische Karriere in denselben Dezennien nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Beide haben am Aufbau der Republik mitgewirkt. Dass sie aus entgegen gesetzten politischen Lagern kamen, Scalfaro aus dem konservativ katholischen der Democrazia Cristiana, Napolitano hingegen aus der kommunistischen Partei, tat ihrer über die gemeinsamen Jahre gewachsene Freundschaft keinen Abbruch. Geeint hat die beiden „Gentleman“ ihre Überzeugung als Antifaschisten und als Juristen der Respekt vor dem Gesetz als Voraussetzung für ein ziviles Zusammenleben. Vor dem Hintergrund der von der heutigen politischen Kaste vorgelebten Delegitimierung des Gesetzes und deren Vertreter erscheinen die beiden Staatsmänner als Relikte vergessener Jahrhunderte.

Karriere in der Democrazia Cristiana

Der 1918 in Novara als Sohn eines Kalabresen und einer piemontesischen Mutter geborene Scalfaro bezeichnet sich selbst als ein Kind der „Einheit Italiens“. Für die nationale Einheit wird er sich später, als die Partei der Lega Nord mit ihren separatistischen Forderungen auf der politischen Schaubühne auftritt, verstärkt einsetzen.
Sein Name ist unweigerlich mit der mächtigen Nachkriegspartei der Democrazia Cristiana (DC) verbunden, die für fünfzig Jahre die Geschicke des Landes bestimmte. Der ehemalige Richter, der 1946 erstmals für die DC antrat, wurde in die verfassungsgebende Versammlung gewählt. Die Erfahrung, an der Niederschrift der ersten demokratischen Verfassung Italiens beteiligt gewesen zu sein, hat sein Verhältnis zum Staat und insbesondere seine Auffassung vom Staatsdiener entscheidend geprägt.

Ebenso wichtig war seine jugendliche Militanz in Azione Cattolica, überhaupt sein tief verwurzelter Glaube, der für sein Handeln im Beruf als auch im Privatleben stets eine ethische Richtschnur war. Als Parlamentarier und Anhänger Mario Scelbas vertrat er den konservativen katholischen Flügel der Partei, der sich während des Kalten Krieges als antikommunistisch definierte. Seine politische Linie war moderat, nur in Fragen christlichen Moral trat er als glühender Verteidiger kirchlicher Werte auf. So kämpfte er gegen die Einführung der Scheidung 1970. Für ihn war die Familie etwas unauflöslich Sakrales: Obwohl er seine Frau sehr früh verlor, sie starb bei der Geburt des ersten Kindes, hat er nie wieder geheiratet. In der Öffentlichkeit zeigte er sich nur in Begleitung von Tochter Marianna, die ein Leben lang an seiner Seite blieb. Das trug ihr den Spitznamen „First Lady“ ein.

Scalfaros Karriere bekam Aufwind während der Regierung von Bettino Craxi, als er von 1983 bis 1987 das Amt des Innenministers bekleidete. Nach einem kurzen Interim als Präsident der Abgeordnetenkammer und des Senats kulminierte sie schließlich 1992 im Amt des Staatspräsidenten.

Staatspräsident und Steuermann während der Wende von ersten zur zweiten Republik

Es waren die schwierigen Jahre von „Tangentopoli“, die das Ende der von Korruptionsskandalen überrollten Democrazia Cristiana einleitete und zum Zusammenbruch des alten politischen Parteiensystems führte. Gleichzeitig wurde der Staat von der Mafia bedroht. Die Ermordung der zwei Symbolfiguren des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen, die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, war eine offene Kriegserklärung. Kurz darauf, 1993, stieg Silvio Berlusconi mit der Gründung der Partei Forza Italia aktiv in die Politik ein. Es gelang ihr in Kürze, das von den Christdemokraten hinterlassene Machtvakuum aufzufüllen und im darauffolgenden Jahr Regierungspartei zu werden.

Scalfaro betrachtete es als seine Aufgabe, das damalige äußerst labile Italien von der ersten in die sogenannte zweite Republik zu steuern. Der von dem aufsteigenden Stern Berlusconi präsentierte Typ des medialen Politikers sowie die Einführung von Marketingideen in die Politik widerstrebten dem Vertreter der alten Garde von Anfang an. Dass der Selfmademan es mit den Gesetzen nicht so genau nahm, kam dann noch hinzu. Unter der maximalen Ausschöpfung seiner Befugnisse als Staatsoberhaupt weigerte sich Scalfaro, Cesare Previti zum Justizminister zu ernennen. Gegen den Vertrauensanwalt Berlusconi liefen damals Ermittlungen wegen Beziehung zur Mafia. Scalfaros Vorsicht erwies sich später als weise: Previti ist heute rechtskräftig verurteilt. Und als Berlusconi von der Lega Nord im Dezember 1994 zum Rücktritt gezwungen wurde, schrieb Scalfaro keine Neuwahlen aus, wie von Berlusconi gefordert, sondern konnte eine technische Regierung mit einer neuen Mehrheit im Parlament bis zum Ende der Legislaturperiode auf die Beine stellen.
Scalfaro fehlte es nicht an Zivilcourage und Biss. Als er 1993 selbst der Veruntreuung von Geldern und Bestechlichkeit während seiner Amtszeit als Innenminister (1983-87) beschuldigt wurde, verteidigte er sich mutig in einer Fernsehansprache („io non ci sto“) und konnte die Anklage als politische Intrige entlarven.

Verteidiger der Verfassung und Einheit Italiens

Nach Beendigung der siebenjähriger Amtszeit wurde Scalfaro 1999 zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Wie auch seinen Vorgängern wurden ihm ein Büro im Senatspalast nebst Privatsekretär zur Verfügung gestellt. Der geistig rege Einundachzigjährige begann eine neue Phase politischer Aktivität, in der er landesweit Vorträge über die Wichtigkeit der Verfassung hält und die Arbeit der Staatsanwälte verteidigt. Besonders am Herzen lag ihm die politischen Bildung und Förderung von engagierten jungen Katholiken. Zu seinen propagierten Idealen gehören nicht nur der Glaube an die Notwendigkeit eines demokratisches Ordnungsgefüge, sondern auch strikte Ablehnung von Krieg und Gewalt. Gleichgesinnte fand er eher im katholischen Lager der links-liberalen Partei von Walter Veltroni, des Partito Democratico und der jüngst gegründeten Alleanza per Italia von Francesco Rutelli.

Scalfaros unermüdliche Kampf gegen die „Berlusconi-Kultur“, die schließlich eine vollkommen neue Generation von Politikern hervorgebracht hat, hat seine letzten Lebensjahre bestimmt. Unzählig sind die Gefolgsleute und Minister des Medienmoguls, gegen die wegen mafiöser Machenschaften oder Korruption ermittelt wird oder die aus dem politischen Nichts stammen und nur rhetorische, jedoch keine fachlichen Kompetenzen aufweisen. Man denke nur an die blutjunge ehemalige Ministerin für Gleichberechtigung Mara Carfagna, die als sexy Pin-up-girl und Tänzerin in den Shows der Berlusconi-Fernsehkanäle angefangen hat. Scalfaro machte nie Hehl aus seiner Verachtung für den Emporkömmling und seine Entourage. Im Gegenzug hat sich Berlusconi über seinen Hofpanegyriker Vittorio Feltri, Direktor der hauseigenen Tageszeitung Il Giornale, entsprechend gerächt. Selbst in dem Nachruf konnte dieser es nicht unterlassen, den würdigen Staatsdiener als bigotten, kleingeistigen Katholiken zu beschreiben, der vom Antikommunisten zum Linken mutiert sei. „Kommunist“ ist für Berlusconi ein geflügeltes Schimpfwort für Staatsanwälte und Richter, die ihn mit dem Gesetzesbuch verfolgen, genauso wie für politische Widersacher oder Kritiker.

Scalfaro wollte kein Staatsbegräbnis. Die Trauerfeierlichkeiten fanden heute im privaten Rahmen in der Basilika Santa Maria di Trastevere statt, seiner Lieblingskirche. Für eine letzte Ehrerweisung wurde zuvor der Sarg in dem benachbarten Zentrum von Sant’Egidio aufgebahrt. Statt des seinem Rang gemäßen Blumenbombastes, zierte den Sarg nur ein Sträußchen feuerroter Pfefferschoten. Bescheiden klein, aber feurig wie sein Idealismus und scharf wie sein Verstand.