Hommage an ein einsames Genie

Michelangelo als Architekt im päpstliche Rom

ROM, 22. Dezember 2009 (ZENIT.org).- Es gibt Künstler, die nicht aus der Mode kommen. Michelangelo Buonarroti mag einer von jenen sein. Die unzähligen Ausstellungen und Reportagen, die man allein in den letzten zwei Jahrzehnten seinem Werk und seiner Person widmeten, scheinen nicht die Begeisterung des Publikums gemindert zu haben.

Man wird seiner nicht überdrüssig, und das nicht erst seit der Moderne. Ruhm und Erfolg war ihm schon zu Lebzeiten beschert. Das, was unsere Neugier für das Universalgenie der Renaissance auch heute noch nährt, ist einerseits die unglaubliche Kraft und Energie, von denen all seine Werke durchdrungen sind und die ihn herausheben aus dem Heer der zeitgenössischen Künstler. Andererseits mag auch sein leidenschaftlicher wie schwieriger, streitbarer Charakter zu seinem Ruhm beigetragen haben. Einer der es wagte, dem Papst Paroli zu bieten, der seine Kritiker in seinen Bildern verulkte!

Die Städte Florenz und Rom streiten sich von jeher um den toskanischen Künstler. Beide betrachten ihn als den „ihrigen“. Zu recht. Denn in Florenz, von Michelangelo selbst als Heimat bezeichnet – geboren ist er in Caprese unweit von Arezzo –, liegen die Anfänge seiner künstlerischen Laufbahn: Dort verbrachte er seine Lehrzeit, kam in Kontakt mit der ihn nachhaltig prägenden Neuplatonischen Philosophie und machte die einflussreichen Medici als Mäzene auf sich aufmerksam. Seiner Heimatstadt schenkte er nicht nur sein bekanntes Jugendwerk, den David, sondern vor allem die Medici-Gräber und die Biblioteca Laurenziana.

Dennoch sind seine wichtigsten und berühmtesten Werke in Rom zu sehen. Was wäre Rom ohne seine Petersdomkuppel, den Kapitolsplatz und die Sixtinische Kapelle, um nur die populärsten anzuführen?

Zweifellos ist Michelangelo der Künstler, der die Stadt der Päpste in der Hochrenaissance am stärksten architektonisch geprägt hat. Mit seinem Namen ist ihr unangefochtenes Symbol, die über der Stadtsilhouette thronende Kuppel, verbunden.

In Rom verbrachte er rund zweiundvierzig Jahre, die sich im wesentlichen auf zwei längere Aufenthalte verteilen: einen ersten von elf Jahren (1505-1516) als junger Mann und dann einen zweiten von dreißig Jahren, der sein letztes Lebensdrittel einnahm. Rom erlebte also seine gesamte Spätphase, die wie wir sehen werden, künstlerisch äußerst fruchtbar war. Hier starb er am 18. Februar 1564 kurz vor seinem neunundachtzigsten Geburtstag. Allerdings verlangte Florenz die sterblichen Überreste ihres Bürgers, die in ein von Giorgio Vasari entworfenes Grabmal in der Kirche Santa Croce überführt wurden.

Ausstellung auf dem Kapitol

Mit der Ausstellung Michelangelo Architekt in Rom in den Kapitolinischen Museen will die Stadt Rom nun die Aufmerksamkeit auf seine architektonischen Leistungen in der römischen Schaffenszeit lenken. Es ist eine Hommage der Bürger an ihren „römischen Michelangelo“. Gezeigt werden bis zum 7. Februar 2010 etwas über hundert Werke: vornehmlich Zeichnungen und Skizzen, darunter eine wertvolle Serie von dreißig handsignierten Blätter des Künstlers, alte Drucke und zeitgenössische Dokumente, sowie Modelle, die, in chronologischer Reihenfolge geordnet, einen intimen Einblick in die Evolution seiner Planung und in seine Arbeitsweise als Bildhauer und Architekt gewähren. Die meisten sind Leihgaben aus der Casa Buonarroti in Florenz, die den größten Schatz Architekturzeichnungen des Meisters hütet und Co-Kurator der Schau ist.

Sechs kostbare Blätter des Codex Coner illustrieren die Auseinandersetzung Michelangelos mit der Klassischen Antike, die er anhand von erhaltener Statuen, Bauplastik und Gebäuderesten vor Ort studierte und kopierte. Die Bewunderung für antike Formen zieht sich wie ein roter Faden durch all seine Werke. Rückgriffe auf antike Vorbilder lassen sich sowohl in seiner Raumauffassung und Baukunst als auch in der Körperdarstellung nachweisen. Letztlich folgte er mit seiner auffallenden Vorliebe für die Darstellung des männlichen Körpers dem ästhetischen Ideal der Griechen und Römer.

Die römische Karriere begann mit seinem architektonischen Erstlingswerk, dem Grabmal für Julius II. (1505/6), das sich wie ein Fluch in den folgenden vier Jahrzehnten auf ihm lasten sollte. „Es war die Tragödie meines Lebens“, schrieb Michelangelo später dazu. Die Ausstellung rekonstruiert den ursprünglichen Entwurf des Kenotaphs als frei stehendes Monument mit vierzig überlebensgroßen Figuren. Dieser Entwurf kam jedoch, da zu kostspielig, nie zur Ausführung. Nach drei weiteren Verträgen mit den Erben des vorzeitig verstorbenen Papstes schrumpfte das Vorhaben auf immer kleiner werdende Dimensionen mit nur mehr drei eigenhändig von Michelangelo gemeißelten Skulpturen (1545): so wie es heute in der Kirche San Pietro in Vincoli aufgestellt zu sehen ist. Gleich an diesem Werk entbrannten die ersten lautstarken Konflikte zwischen dem in ehrgeizige Bauprojekte verwickelten Papst und dem eigensinnigen Künstler. Sie trugen Michelangelo früh den Ruf als respektlosen Hitzkopf ein. Die beiden waren sich offenbar in Temperament und Unnachgiebigkeit nicht unähnlich.

Es folgte die Planung für die Gewölbefresken der Sixtina, für dessen Dekor Julius II. ursprünglich die Darstellung der zwölf Apostel wünschte. Dass der Künstler sich mit der Genesis als Thema durchsetzen konnte, hing an seinem höchst komplexen, theologisch ausgefeilten ikonologischen Programm, das sich hinter der Figurenkomposition der Propheten, Sybillen, Ignudi und der biblischen Gestalten verbirgt. Mit der Ausmalung der Decke (1508-12) erlangte Michelangelo den internationalen Durchbruch als Maler.

Der zweite römische Aufenthalt Michelangelos (1534-1564) fällt zusammen mit seiner Spätphase. Abgesehen von zwei weiteren Freskomeisterwerken im Vatikanpalast, dem Jüngste Gericht in der Sixtina und der Ausmalung der Cappella Paolina, etablierte er sich in dieser Phase vor allem als Architekt und Urbanist. In jenen dreißig Jahren realisierte er wichtige Bauten in Rom. Seine mit antiken Statuen geschmückte Stufenrampe und der Platz auf dem Kapitolshügel dürfen als erstes Platz-Szenarium der Renaissance bezeichnet werden. Heute noch Blickfang der Altstadt vor der Forumssenke wird es als festliche Kulisse für Hochzeitsfotos aufgesucht. Der Platz wurde mit dem charakteristische Stern, der das antike Reiterstandbild des Mark Aurel rahmt, auf den italienischen 50 Cent Münzen verewigt.

Von seinem damaligen Förderer Paul III. erhielt er auch den Auftrag, den eleganten Familienpalast des Papstes, den Palazzo Farnese, zu vollenden, sowie die Leitung der Petersdombauhütte zu übernehmen (1546). Die meiste Zeit und Energie verschlang die Planung und Bauleitung für den neuen Petersdom als technisch und statisch höchst waghalsiges Unternehmen. Schon hoch betagt kletterte er auf das riesige Baugerüst und dirigierte die Arbeiten für den Tambour; die Ausführung der zweischalige Kuppelkalotte hingegen hatte er nicht mehr erlebt, sie wurde erst 1590 fertig gemauert. Besonderer Stolz der Kuratoren ist eine erst vor einem Jahr im Archiv der Dombauhütte entdeckte und bisher unveröffentlichte Zeichnung (110×220 mm) von der Kuppel aus dem Jahr 1563.

Parallel dazu nahm er weitere Aufträge an. Innovation in Raumgestaltung zeigt Michelangelo mit der Umwandlung der antiken Kaiserthermen des Diokletian in einen Sakralbau, Santa Maria degli Angeli. Sein letztes Werk sollte der Entwurf für die Porta Pia, das Stadttor im Norden der Aurelianischen Stadtmauer, für die er eine bühnenartige Schauseite plante. Andere Entwürfe, wie zum Beispiel für die Nationalkirche der florentinischen Gemeinde in Rom, sind nie umgesetzt worden. Vier gut erhaltene Architekturskizzen der Basilika belegen, dass Michelangelo genau wie für den Petersdom einen Zentralbau im Sinn hatte, das Raumideal der Renaissancearchitektur.

Universalgenie und einsamer Mensch

Erstaunlich ist, dass Michelangelo in allen drei Disziplinen gleichwertig glänzte: In der Bildhauerei, die nach eigener Angabe seine eigentliche Leidenschaft war, wie in der Malerei. Auf seine außergewöhnliche Leistung auch als Architekt und Stadtplaner möchte diese Ausstellung hinweisen.

Damit nicht genug. Michelangelos literarisches Talent und Interesse für humanistische Studien, für Philosophie und Theologie sind hinreichend bekannt. Sein forschender Geist hat ihn zum Autodidakten werden lassen. Jedenfalls wissen wir, abgesehen von seiner kurzen Lehrzeit in der Werkstatt bei Ghirlandaio mit dreizehn Jahren und seiner losen Frequentierung der Kunstakademie der Medici bis zum siebzehnten Lebensjahr (1492), von keiner weiteren Ausbildung. Seine Familie gehörte dem verarmten Florentiner Adel an und sein Vater konnte ihm kostspieligen humanistische Studien nicht ermöglichen, die seinem Stande angemessen gewesen wären. Er soll des Lateinischen unkundig gewesen sein. Fast unvorstellbar, wenn man die von ihm entwickelten Bildprogramme der Sixtina-Fresken betrachtet, die ein eingehendes Bibelstudium voraussetzen.

Michelangelo blieb Zeit seinen Lebens ein einsamer, von Zweifeln geplagter Mensch. Das konnten Erfolg und Ruhm nicht ändern, noch fand er persönliche Genugtuung in seiner Arbeit. Seine Melancholie und Menschenscheue verstärkten sich im fortschreitenden Alter. Parallel dazu entwickelte er eine tiefe Religiosität. Er bekundete selber, allein im Glauben Trost und Halt gefunden zu haben: „Nicht Malen und nicht Meißeln stillt mein Sehnen. Die Liebe nur, die selbst den Tod nicht scheuend, vom Kreuz die Arme uns entgegenbreitet.“

Für die Nachwelt hingegen, die sich nicht an seinen großartigen Kunstwerken satt sehen kann, bestätigt sich eine Vision Michelangelos kurz vor seinem Tod: der Wunsch nach Unsterblichkeit.

„Ich bin nicht tot,

ich tausche nur die Räume.

Ich leb‘ in Euch und geh durch Eure Träume.”

Die Ausstellung „Michelangelo architetto a Roma” ist im Konservatorenpalast der Kapitolinischen Museen noch bis zum 7. Februar zu sehen. Öffnungszeiten täglich außer Montags von 9 bis 20 Uhr. Weiterführende Informationen unter http://www.museicapitolini.org/mostre_ed_eventi/mostre/michelangelo_architetto_a_roma