Italien: Sant‘ Egidio allein leistet mehr als Europa

Mit den humanitären Korridoren wurden mehr Flüchtlinge gerettet als 14 EU-Staaten aufgenommen haben

Zenit.org – Was anfangs wie ein Tropfen auf den heißen Stein aussah und wegen des Aufwandes ein wenig belächelt wurde, erweist sich nun als erfolgreicher auf als jede andere europäische Initiative – und das zum Nulltarif für den italienischen Staat. Über die so genannten humanitären Korridore wurden in den letzten 15 Monaten 800 Menschen aus Syrien und dem Irak gerettet und in verschiedenen Kirchengemeinden in Italien untergebracht, wo sie versorgt und integriert werden. Im Vergleich dazu wurden nur 648 Flüchtlinge, die in Italien strandeten, auf die EU-Nachbarländer umverteilt.

Italien erlebt seit der Verriegelung der Balkanroute ein Flüchtlingsrekord unbekannten Ausmaßes. Im letzten Jahr gelang 181.000 Menschen die gefährliche Fahrt über das Meer. Dieses Jahr erwartet man mehr als 200.000. Das Land, das mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und Staatsverschuldung kämpft, ist sichtlich überfordert mit der Flüchtlingsproblematik. Es mangelt an Aufnahmekapazitäten, Infrastrukturen und Logistik für die Ersthilfe. Gravierender ist jedoch das „Danach“, das Fehlen von langfristigen Integrationsprojekten, ohne die eine Eingliederung der fremden Kulturen nicht möglich ist. Die von der dramatischen Flucht aus Kriegsgebieten gezeichneten Menschen werden monatelang in Massenlagern in Süditalien interniert.

Die italienische Regierung fühlt sich mit ihren offenen Landesgrenzen zum Mittelmeer von Europa allein gelassen. Die von dem Europarat geforderte Umverteilung von insgesamt 160.000 Asylbewerbern aus Italien und Griechenland innerhalb September 2017 stockt erheblich. Viele EU-Staaten erfüllen ihre Aufnahmequote nicht, Deutschland eingeschlossen. Andere wie Ungarn, Österreich, Polen und Dänemark weigern sich überhaupt Schutzsuchende aus dem Kontingent aufzunehmen. Von den 18.418 aus Italien zu übernehmenden Flüchtlingen, haben nur 648 Menschen eine Aufnahme gefunden. Ein Armutszeugnis der Solidarität für die EU-Nachbarn.

Alljährlich ertrinken Tausende von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten bei dem Versuch über das Mittelmeer die Küsten Europas zu erreichen. Seit 2014 werden 12.000 Tote gezählt, die nicht einmal alle geborgen werden können. Als sich die Katastrophen vor der Insel Lampedusa häuften, fühlten sich italienische Christen verantwortlich und stellten sich die Frage: Wie kann man dieses Elend verhindern oder zumindest lindern?

Daraus erwuchs das ökumenische Projekt „Humanitäre Korridore“ unter der Führung der katholischen Basisgemeinschaft Sant’Egidio, die ihren Spitznamen „UN von Trastevere“ (nach dem römischen Stadtviertel, wo der Gründungssitz liegt) wegen ihrer erfolgreichen Verhandlungsstrategie in Kriegsgebieten zu Recht trägt. Beteiligt an der Initiative sind auch die evangelischen Kirchen und Waldenser Italiens, die auf eigene Kosten mit einem Netzwerk bei der Aufnahme und Betreuung der Schutzsuchenden helfen. Der Korridor wurde mit dem Segen der italienischen Regierung realisiert. Am 29. Februar 2016 wurde die erste Luftbrücke zwischen dem Nahen Osten und Rom eröffnet: Die italienische Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut stellte die humanitären Visa aus. Anschließend flogen die Auserwählten mit Frei-Flug-Tickets der Alitalia von Beirut nach Rom. Begünstigt wurden Minderjährige ohne Eltern, alte und gebrechliche Menschen und Schwerkranke, es waren Christen wie Muslime. Weitere 200 Menschen werden in den nächsten Wochen nach Italien ausgeflogen.

Mit der Regierung wurde vorläufig die Anzahl von 1000 Flüchtlinge vereinbart, die von Pfarrgemeinden, Gemeinschaften, privaten Familien und Vereinen in 17 Regionen und in der Mini-Republik San Marino hospitiert werden. Den kostenlosen Sprachunterricht stellt Sant’Egidio, die eine 35jährige pädagogische Erfahrung aufweist.

“Unser Modell kann auf ganz Europa ausgeweitet werden, denn die Korridore sind von den Organisationen komplett selbst finanziert; der Staat zahlt keinen Pfennig”, wirbt Marco Impagliazzo, Präsident der bekannten Laiengemeinschaft. Im März hat Frankreich 500 syrische und irakische Flüchtlinge über den libanesischen Korridor aufgenommen. Weitere Länder wie Spanien hätten Interesse an dem Projekt gezeigt. Derzeit wird zusammen mit der italienischen Bischofskonferenz die Überführung von 500 Flüchtlingen aus Eritrea, Somalia und Äthiopien vorbereitet.

Den Flüchtlingen soll nicht nur die lebensgefährliche Überquerung des Mittelmeeres erspart werden, sie werden auch vor den Fängen der Schlepperbanden und Menschenhändler geschützt. Letztes Jahr allein wurden 11.000 Frauen aus Nigeria in den italienischen Häfen registriert, die für die Straßenprostitution in den europäischen Städten in der Heimat angeheuert wurden. Einmal in Europa gelandet, haben sie kaum eine Chance sich aus eigenen Kräften aus der Sklaverei zu befreien. Die großen und wenig bekannten Anstrengungen von Sant’Egidio, diesen afrikanisch-europäischen Frauenhandel zu unterbinden und den Frauen zu einer Rückkehr in ein menschenwürdiges Leben zu helfen, stand kürzlich unerwartet im Rampenlicht der Presse: Ivanka Trump wurde bei ihrem Staatsbesuch in Rom und Vatikan das Projekt vorgestellt und ein Gesprächsforum mit den misshandelten Frauen arrangiert.

Italien: Sant‘Egidio allein leistet mehr als Europa