Alles bleibt beim Alten

Italien: Regierungskrise nach gescheitertem Referendum

Zenit.org – Die Ablehnung der umstrittenen Parlamentsreform war vorauszusehen. Nicht zu ahnen war, dass die Nein-Stimmen fast 20 Punkte Vorsprung haben würden. Und das bei einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent. Ministerpräsident Matteo Renzi hatte den taktischen Fehler begangen, den Ausgang des Referendums an sein Mandat zu knüpfen. Er dachte, seine radikale Verfassungsreform damit leichter durchboxen zu können. Nun steht er vor dem Aus. “Meine Regierung ist hiermit beendet. Das ist Demokratie”, schloss Renzi seine Ansprache heute Nacht nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Volksentscheids: ca. 40,5 zu 59,65. Sein Rücktritt ist unumgänglich. Diesen Nachmittag soll er bei Staatspräsidenten Sergio Mattarella formalisiert werden.

Mit einem lauten Knall endet abrupt die Regierung von Hoffnungsträger Renzi, der wegen seiner Arbeitsmarktreform viel Applaus in Europa geerntet hat. Obwohl es derzeit keine politische Alternative zum medialen Renzi gibt, sorgen sich die Italiener weitaus weniger als Brüssel darum, dass sie mal wieder ohne Regierung sind. Die internationalen Finanzmärkte reagieren sensibel auf politische Instabilität, zumal in einem Land mit hoher Staatsverschuldung. In Italien ist die Instabilität historisch wie chronisch. Sie gehört zum politischen Alltag und scheint die Einheimischen nicht zu sehr zu beunruhigen. Die Sicht von außen auf Italien ist jedoch eine andere als die von innen: Das beweisen die Auslandsitaliener selbst, die mehrheitlich für die Verfassungsreform gestimmt haben. Sie nehmen die Sichtweise der Nachbarn an und wollten politische Kontinuität der Renzi-Regierung.

Die Verfassungsänderung sollte den ganzen Parlamentsbetrieb umgestalten bzw. vereinfachen. Sie hatte zum Ziel, die Regierungspartei in der schnelleren Umsetzung von Programmen und Gesetzen zu stärken. Dafür sollte die kleinere Kammer, der Senat, seine ursprüngliche Funktion einbüßen, nämlich das Gegengewicht zum Abgeordnetenhaus, der ersten Kammer, zu sein. In der Verfassung von 1947 ist vorgesehen, dass Gesetze in beiden Kammern abgesegnet werden müssen, das so genannte „perfekte Zweikammersystem“. Es handelt sich um eine demokratische Kontrollinstanz, die aber auch zu mächtigen Verzögerungen führen kann. Denn bis zu drei Jahre sind manche Reformwerke in einer Art Pingpong-Spiel zwischen den beiden Kammern bis zur endgültigen Verabschiedung auf dem Weg. Der Senat sollte in erster Linie nur noch als Regionalvertretung gegenüber dem Staat und der EU fungieren. Während die Senatoren bisher vom Volk gewählt wurden, sollten sie sich zukünftig aus den Regionalräten rekrutieren, die wiederum von den Parteien bestimmt werden.

Der Preis für eine zweifellos effizientere Regierung ist also eine schwächere demokratische Kontrolle. Ein nicht zu unterschätzender Preis in einem Land mit einem starken populistischen Aufgebot an Parteien. Verfassungsexperten warnten vor einer zu mächtigen Regierung. Italien war in der langen wie heftigen Kampagne, die dem Volksentscheid vorausgegangen ist, aufgewühlt und gespalten.

Die katholische Kirche und insbesondere der Vatikan hielten sich bewusst zurück mit Präferenzäußerungen. Kardinal Angelo Bagnasco, Vorsitzender der Bischofskonferenz, rief die Bürger auf, sich genau über den Inhalt des Referendums zu informieren. Aber in der katholischen Tageszeitungen L‘Avvenire wurde heftig diskutiert um Für und Wider der Reform. Die italienischen Katholiken sind ebenso gespalten wie der Rest der Nation. Dass sie in einer geschlossenen politischen Linie an die Urnen traten, gehört dem Zeitalter der Democrazia cristiana an. Und die wurde 1994 aufgelöst. Heute verteilen sich die Katholiken auf die gesamte Parteienlandschaft.

Die Hauptgegner der Reform sind jedoch die politischen Feinde von Renzi, das heißt die gesamte Opposition: die Protestpartei der Fünfsternebewegung (M5s) und die rechte, fremdenfeindliche Partei Lega Nord. Auch im linken Lager der PD haben viele gegen ihn gestimmt, um mit seinem autoritären Führungsstil abzurechnen. Viele Beobachter schreiben, dass der Volksentscheid nicht um die Verfassungsänderung, sondern um den Premier persönlich ging. Die Opposition jubelt über den Fall Renzis. Sie verlangen Neuwahlen.

Renzi hat einen neuen Regierungsauftrag durch den Staatspräsidenten bereits abgelehnt. Die Neuwahlen könnten dadurch ins kommende Jahr vorgezogen werden. In der Zwischenzeit wird es eine technische Regierung aus dem engen Umkreis Renzis geben. Dass die politische Karriere des 41jährigen heute beendet ist, ist eher unwahrscheinlich. Er könnte es bei den Neuwahlen noch einmal als Kandidat versuchen. Ob er Aussichten hat, seine Reformideen beim zweiten Anlauf durchzusetzen, ist im Hinblick auf die immer mächtiger werdende Oppositionspartei M5s, mehr als fragwürdig.