„Der Mensch hat der Natur zu viel geraubt“

Franziskus ruft zur Solidarität mit Sardinien auf

„Bewegt von der entsetzlichen Tragödie, die Sardinien getroffen hat, bitte ich alle, für die Opfer zu beten, insbesondere für die Kinder“, ruft Franziskus in einem gestrigen Tweet auf. Trost und Ermutigung sprach er der von der Flutkatastrophe getroffenen Bevölkerung auch in einem Telegramm an die sardische Bischofskonferenz aus. Erst Ende September hatte der Papst Sardinien einen Besuch abgestattet. Das Telegramm wurde von Staatsekretär Erzbischof Pietro Parolin unterzeichnet, dessen Amtsantritt vor zwei Tagen traurigerweise mit dem Unglück auf der italienischen Insel zusammenfiel.

 

Mindestens 16 Tote, darunter vier Kinder, sind die bisherige Bilanz des Sturmtiefs „Kleopatra“, das von Montag auf Dienstag Mittel- und Süditalien überrollte. Im Norden Sardiniens, die am stärksten getroffene Region, fielen innerhalb von zwölf Stunden die Niederschlagsmenge eines halben Jahres. Flüsse wurden zu reißenden Sturzbächen; der braune Schlamm wirbelte Autos herum, drang in die Häuser ein. Brücken stürzten ein und rissen Menschen in den Tod. Ministerpräsident Enrico Letta, der gestern auf die Insel flog, sprach von einer „nationalen Tragödie“. Ein großer Teil der rund 55.000 Einwohner zählenden Stadt Olbia steht unter Wasser. Die Menschen sind fassungslos. Die ersten zehn Opfer werden heute beerdigt. Der Zivilschutz und Feuerwehr sind seit Montagnacht unermüdlich im Einsatz, Menschen zu evakuieren, die sich in die Obergeschosse oder gar auf die Dächer ihres Hauses gerettet haben. Nur in den Städten, nicht aber auf dem Land, ist es überhaupt möglich, die Keller auszupumpen.

„Große Trauer für die Opfer und die Personen, die noch vermisst werden. Und große Besorgnis, denn die Notlage scheint noch nicht zu Ende zu sein“, fasste Monsignor Sebastiano Sanguinetti, Bischof von Tempio-Ampurias, die Situation auf der Insel in dem gestrigen Interview mit Radio Vatikan zusammen. In der Tat werden auch für heute weitere Regenfälle erwartet. In der Diözese Olbia-Tempio, wurden allein mehr als 20.000 Menschen von den Fluten in ihren Häusern überrascht. Der Bischof hat eine Erste-Hilfe-Mannschaft auf die Beine gestellt, die Notunterkünfte in den Kirchen und Gemeindesälen herrichtet, und Kleidung und Essen bereitstellt für diejenigen, die ihre Häuser verloren haben. Die Rede ist von rund 3000 Obdachlosen, die nicht bei Verwandten untergebracht werden konnten.

 

Neben dem großen solidarischen Einsatz gesellt sich auch konkrete finanzielle Hilfe von Seiten der Kirche. Die italienische Bischofskonferenz hat als „ersten Solidaritätsakt“ eine Million Euro gespendet, wurde gestern bekannt gegeben. Die italienische Caritas trägt ihrerseits mit 100.000 Euro bei. Das sind wohlgemerkt Summen, mit denen nur die erste Not dieser Tage gestillt werden kann. Um die entstandenen Schäden zu reparieren, werden sicherlich auch die 20 Millionen Soforthilfe, die die Regierung bereitgestellt hat, nicht genügen. Letta versprach jedoch, EU-Hilfsgelder zu beantragen.

 

Wie häufig nach Naturkatastrophen, mangelte es nicht an Kritik. Die Bevölkerung sei nicht ausreichend vorgewarnt worden. Der Zivilschutz und Meteorologen verteidigten sich, sie hätten die Behörden einen Tag zuvor, also am Sonntag, von der Überschwemmungsgefahr in Kenntnis gesetzt. Auslöser für den außergewöhnlich starken Regen war ein Zyklon, ein starkes Tiefdruckgebiet. So etwas ist nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit. Allerdings war die Regenmenge nicht genau absehbar, die mehrere 100 Liter pro Quadratmeter betrug. Bürgermeister vor Ort hätten nach den Warnungen die Leute in besonders gefährdeten Zonen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Dies sei aber nicht befolgt worden. Dem ist entgegenzuhalten, dass es keine staatliche Infrastruktur von Notunterkünften gibt, in die die Menschen vorsätzlich evakuiert werden könnten.

 

Sardinien ist kein Einzelfall. In Italien haben sich in den letzten Jahren Überschwemmungen und Erdrutsche gehäuft. Lange Dürreperioden wechseln mit sintflutartigen Regenfällen ab. Der Mensch ist gegenüber diesen klimatischen Veränderungen machtlos, nicht aber gegenüber den verheerenden Auswirkungen in seinem Lebensraum. „Der Mensch hat der Natur zu viel geraubt; und die Natur holt sich nun das zurück, was ihr geraubt wurde“, resümiert überzeugt Bischof Sebastiano Sanguinetti. „Die Gewalt, die der Umwelt angetan wurde; die Flüsse, die geschlossen wurden; die umgeleiteten Wasserläufe, die gerodeten Berghänge: die Wunden der Umwelt sind sehr schwerwiegend, und wir sollten diese Schandtaten der Vergangenheit bereuen. Diese war räuberisch und eben nicht Freund und Architekt einer Umwelt, die gesund und Freund des Menschen ist.“

 

Die Position der katholischen Soziallehre zu dem Thema ist eindeutig. Benedikt XVI. weist in seiner Enzyklika „Caritas in Veritate“ auf die Verpflichtung aller Staaten hin, verantwortungsbewusst zu entscheiden, „welcher Weg einzuschlagen ist, mit dem Ziel, jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll…. Man kann nur wünschen, dass die internationale Gemeinschaft und die einzelnen Regierungen es wirksam verhindern können, dass die Umwelt zu ihrem Schaden ausgenutzt wird“ (IV 50).

 

Gewalteingriffe in die Schöpfung hat fast jedes dicht besiedelte Industrieland auf dem Gewissen. Speziell in Italien jedoch, das Urlaubs-und Naturparadies Sardinien eingeschlossen, wurde in von Erdrutsch bedrohten Gegenden oder zu nahe an Flussläufen gebaut, manchmal ohne Baugenehmigung, aber häufig auch im Einvernehmen mit den Kommunen, die ihre Bebauungspläne ungeachtet der geologischen Gutachten machten. Das staatliche Amt für Umweltschutz hat die Kosten auf 40 Milliarden Euro geschätzt, um das gesamte Land gegen künftige Wasserkatastrophen sicher zu machen. Ein Preis, den der hoch verschuldete Staat weder zahlen will noch kann.